Hier mal nen Artikel aus der
Frankfurter Rundschau vom 19.05.2006. Mir scheints die Schreiberin der Zeilen ist auch ein kleines bißchen ein Tramp?!
Kleiner Kommentar meinerseits, wie wohl von anderen auch schon erwähnt: Nen sehr starker Moment im Konzert war für mich 'My city of ruins'! Hab mich bei dem 'rise up'-Gesängen der Fans irgendwie dabei ertappt, dass ich zur Hallendecke geschaut habe und nur gehofft habe, dass das Dach nicht wegfliegt!
Und hier nun der Artikel (habs mit dem 'schönen' Einfügen leider nicht so):
Springsteen on Tour
Politik & Spaß & Whisky
VON SYLVIA STAUDE
Für alles ist eine Zeit, und für viele Dinge kommt sie irgendwann zurück - manchmal überraschend, manchmal fast zwangsläufig. So scheint nun wieder die Zeit reif zu sein für die Musik Pete Seegers, vor dem und während des Zweiten Weltkriegs der wohl wichtigste politische Sänger der USA. Bruce Springsteen hat das erkannt; und das kann nur denjenigen erstaunen, der den "Boss" nicht als einen ebenfalls politischen Sänger betrachtet. 1997, dann erst wieder 2005 und '06 gab es im Springsteenschen Wohnzimmer drei jeweils nur einen Tag dauernde Zusammenkünfte, die "Seeger Sessions". Die Bläser mussten auf den Flur, der große Rest der Band passte in die gemütlich-gediegen aussehende Wohnstube. Man probte nicht lang rum, man spielte. Eine CD kam heraus (We Shall Overcome - The Seeger Sessions), seit einiger Zeit läuft die Tournee zur CD. Das einzige Deutschland-Konzert in der Frankfurter Festhalle war binnen Minuten ausverkauft.
So war es auch im vergangenen Jahr bei Springsteens Solo-Tour (zu: Devils & Dust); aber dass er nun die Musik eines anderen, eines inzwischen 87-Jährigen, spielte, schreckte offenbar niemanden ab. Im Gegenteil: "You came very prepared", lobte er "Frankfurt" am Ende, "ihr seid sehr gut vorbereitet". Es war in der Tat ein Publikum, das die geringste Chance, die ihm zum Mitsingen geboten wurde, auch nutzte.
Anheizer & Wirbelwinderzeuger
Das ist wiederum nicht so erstaunlich, wie es klingt. Pete Seeger wusste, wie er Botschaften mitreißend transportiert, egal, ob er die Lieder selbst schrieb oder sich, sehr oft, bei Volksmusik (so genannten Traditionals) bediente. "Old Dan Tucker", mit dem Spring-steen sein Konzert eröffnete, ist ein musikalischer Anheizer, bei "My Oklahoma Home" kann man herrlich "blown away" grölen, obwohl das Thema - eine schreckliche Dürre - weiß Gott kein Heiteres ist, und "We Shall Overcome" oder "When the Saints Go Marchin' In" gehörten früher nicht zufällig zu jeder Schul-Jazzmesse oder ins Zeltlager. Aber obwohl Springsteen seine 16-köpfige Band an diesem Abend einen Wirbelwind an Musik entfachen lässt, nimmt er sich und sie gerade bei diesen beiden Liedern zurück, beginnt leise, langsam, gebrochen und holt den unaufgeregt-melancholischen Marc Thompson als Co-Sänger ans Mikro. Es sind rührende Momente.
Auf der DVD zu den Seeger Sessions spricht Springsteen ein schwieriges Wort gelassen aus: "recontextualise". In einen neuen Kontext stellen will er die Seeger-Songs, dann, so ist er überzeugt, "werden sie wieder zum Leben erwachen". Es hilft, dass er in diesem Fall eben nicht auf Seegersche Art allein schrammelt, wie auf der - wunderbaren - Devils & Dust-Tour, sondern einen von vielen geknüpften Teppich unter die Texte breitet, hochflorig und herrlich angeschmuddelt. Wo man so spielt, so tüchtig und froh, da lässt man sich gern nieder.
Es ist aber auch einfach die Zeit wieder gekommen für Lieder, in denen ein Arbeiter zu seinem Boss sagt: "Pay Me my Money Down". Oder eine Mutter beklagt, dass ihr Sohn mit Holzbeinen aus dem Krieg zurückkehrt ("Mrs. McGrath"). Und auch eine explizite Bush-Kritik - drei neue, auf das Versagen in New Orleans gemünzte Strophen für "How Can a Poor Man Stand Such Times" - ist kein Fremdkörper an diesem Abend, dessen Aktualität überrascht angesichts von Material, das bis zu 200 Jahre alt ist. Ein Vergleich mit den Biermösl Blosn ist vielleicht nicht zu gewagt: Bodenständige Musik auf traditionellen Instrumenten kleidet hier wie da aktuell politische Texte vorzüglich.
"Spaß" sollen wir haben, wünscht uns Springsteen anfangs. Haben wir. Ein paar mickrige Kronleuchter über der Bühne erzeugen zwar keine Wohnzimmer-Session-Atmosphäre in dieser Halle, in die Tausende passen; aber im Laufe des Abends fühlt es sich tatsächlich an, als rückten die Leute näher zusammen. Die Stimmung ist - unglaublich. Ein paar Mal steht Springsteen fast hilflos vor dem Mikro, darauf wartend, dass das Trampeln und Pfeifen so weit abklingt, dass er weitermachen kann im Programm. Das, neben den meisten Titeln der neuen CD, auch fremd und frisch klingende Versionen von einigen seiner eigenen alten Songs enthält, "Johnny 99" etwa, ein dreckiges "You Can Look" oder "Cadillac Ranch". Sowie eine zarte, runde Fassung des irischen Folkklassikers "The Long Black Veil".
Aber nicht nur intellektuell ("recontextualise") redet Springsteen auf der Sessions-DVD daher, er gibt auch handfeste Hinweise darauf, was den Charme seiner Neu-Aufnahmen - und damit auch den Charme des Live-Auftritts - ausmacht: Ich will einen whiskygetränkten Sound, sagt er da. Vor allem seine Stimme muss ihm diesen Wunsch erfüllen - und das tut sie. Sie wird überhaupt interessanter, je älter Springsteen (jetzt 56) wird, rauer, tiefer, vielschichtiger.
Er war auf der Bühne schon immer ein Tier (die Rezensentin erinnert sich an ein Vier-Stunden-Konzert unter sengender Sonne im Münchner Olympiastadion), er schont sich auch in fortgeschrittenem Alter nicht. Gut zweieinhalb pausenlose Stunden sind es in Frankfurt, und keine Sekunde scheint er sich dabei zu schonen. Wenn schließlich ein Freund, Wolfgang Niedecken von BAP, zum letzten Lied ("Buffalo Gals") mit auf die Bühne kommt, merkt man im Vergleich, welch wilde Energie The Boss auf sein Publikum loslässt. Eigentlich sollte er einen ganz anderen Beinamen bekommen: The Animal.