Wenn die FAZ sich "herabläßt" und über "banalen mainstream-Rock" schreibt, denn kam Springsteen bisher nie gut weg.
Der Rückblick auf das Frankfurt Konzert ist dann um so interessanter.
In der Hauptthese hat sie recht.
Und das war auch gestern mein Gedanke...
Springsteen kann nicht großartig singen, nicht großartig Klavier spielen und maximal überdurchschnittlich Gitarre.
Er wird nie mehr Bob Dylan und will es auch gar nicht.
Und trotzdem schafft er es ein unglaubliches Konzert zu geben.
Einer der letzten seiner Art...
Code:
Bruce Springsteen
Vollständige Hitabstinenz
Von Andreas Platthaus
16. Juni 2005 Man stelle sich vor: einen Liederabend. Den Zuhörern wird am Eingang zum Saal ein Zettel in die Hand gedrückt, auf dem sie gebeten werden, vor Beginn des ersten Liedes Platz zu nehmen und während der weiteren Darbietung nicht herumzulaufen.
Eine Selbstverständlichkeit, möchte man meinen, doch es ist kein selbstverständlicher Abend. Auf der von meistens dunkelrotilluminierten Vorhängen hinterfangenen und mit zwei Kronleuchtern geschmückten riesigen Bühne steht ein einsamer Sänger, dessen stimmliche Möglichkeiten beschränkt sind und der seine diversen Instrumente zwar beherrscht, aber nicht mit ihnen glänzt. Dennoch spielt er an diesem Abend vor mehr als zehntausend Menschen, und die Karten für sämtliche Konzerte seiner weltweiten Tournee wurden in einer halben Stunde ausverkauft.
„Ich brauche viel Ruhe”
Herzlich willkommen zum Liederabend
Sein Name ist Bruce Springsteen, und seine Welt ist die Rockmusik. Doch weder die noch seinen Namen will er an diesem Abend in der Frankfurter Festhalle hören. „Ich brauche viel Ruhe, um mein Bestes zu geben”, kündigt er an, und das Beste sind für ihn derzeit seine Balladen. Bei jedem noch so zaghaften Versuch des Publikums, in vertraute Mitklatschrituale zu verfallen, verzieht ein mitleidiges Lächeln das Gesicht des einsamen Herrn auf der Bühne.
Nur einmal, bei „All I'm Thinkin' About”, einem im Falsett gesungenen Stück von der kürzlich erschienenen Platte „Devils and Dust”, nimmt der Saal die Rhythmik des klopfenden Gitarrenspiels so paßgenau auf, daß sich Springsteen zu einem Kompliment hinreißen läßt. Doch daran schließt er sofort das getragene „The Ghost of Tom Joad” an - erst zum zweitenmal auf bislang fast dreißig Konzerten der Tournee. Damit bringt er sein Publikum augenblicklich wieder zum Schweigen. Wie ein nächtlicher Rächer gebietet der Sänger über die Stille. Einmal läßt er seine Silhouette von einem Lichtkegel an die Wand am Ende der Halle werfen: Über alle wacht der Boss.
Hommage an Tom Waits
Der Mann am Harmonium
Die Irritation unter den Zuhörern war groß gewesen - nicht nur, weil dieser Boss seine frühere Vorliebe für pünktlichen Arbeitsbeginn aufgegeben hat, sondern mehr noch, als Springsteen sich gleich zum ersten Lied ans Harmonium setzte, ein Instrument, das nicht zu den gängigen Begleitern seiner Kompositionen gehört. Doch auf diese schleppende Interpretation von „Into the Fire” läßt er eine vocoderverzerrte Version von „Reason to Believe” folgen, die über elektronisch verstärktes Fußstampfen eine Spur zur Singer-Songwriter-Tradition à la Tom Waits legt. Dort hat Springsteen immer schon von Zeit zu Zeit gewildert, aber noch nie hat er, der sich vor mehr als dreißig Jahren, zu Beginn seiner Karriere, so erbittert gegen das Abschieben in die Liedermacher-Ecke gewehrt hatte, eine so offene Hommage an Waits vollzogen.
Mit Bob Dylan hat er häufiger kokettiert, und der Frankfurter Abend steht denn auch eher in dieser Tradition. Nur verfügt Springsteen nicht über ein Repertoire, das die Stärken von Gitarre und Mundharmonika durchgängig zur Geltung bringt, und bis auf „Promised Land” gibt es jetzt auch keine speziellen Arrangements rockiger Kompositionen. Konsequent verzichtet Springsteen deshalb auf fast alle seine größten Hits; allein „The River” entlockt der Halle noch ein kollektives Jauchzen.
Bemerkenswerte Flexibilität
Auszeit am Bühnenrand
Ein beinahe zweieinhalbstündiges Konzert aus lauter langsamen Springsteen-Stücken ist tatsächlich eher ein Liederabend als das, was sich seine Anhänger gemeinhin erwarten. Doch bemerkenswert ist die Flexibilität, mit der sich Springsteen aus dem Fundus seiner Melodien bedient. Keiner weiß, was ihn am jeweiligen Konzertabend erwartet, und keine Epoche seines Schaffens ist vor dem Zugriff Springsteens sicher. Daß er in Frankfurt überwiegend jüngere Kompositionen spielt, ist eine geschickte Wahl, weil der ganze Abend Experimentalcharakter bekommt: Der Verzicht aufs Bekannte wird vom Publikum schließlich nicht als Brüskierung, sondern als Kompliment betrachtet.
Dennoch ist Springsteen mehr bei seiner Musik, wenn er die Rückendeckung der legendären „E Street Band” genießt. Dann kann er auch Auszeiten am Bühnenrand nehmen, während hier die ganze Aufmerksamkeit der zehntausend auf dem kleinen Mann aus New Jersey liegt. Bei seinem letzten Auftritt in der Festhalle vor dreizehn Jahren hatte er trotz Bandverstärkung zur Halbzeit eine Pause eingelegt. Diesmal spielt er durch, und selbst der Zugabenteil ist nur durch einen kurzen Abtritt vom vorangegangenen Teil getrennt.
Ein Abend mit Experimentalcharakter
Ganz am Schluß klaut Springsteen eine Idee von Joe Jackson: Wieder am Harmonium sitzend, spielt er das verwunschene „Dream, Baby, Dream”, das sich in endlosen Kaskaden zu einer Beschwörungsformel verdichtet, die das Konzert in musikalischer Verklärung enden läßt. Mitten im Lied aber steht Springsteen vom Instrument auf, und die Melodie spielt weiter, so daß er nun frontal zum Publikum, nur in Millimeterentfernung von den ausgestreckten Händen, das Finale seiner knarzenden Messe zelebrieren kann: als Amerikaner in katholischer Verzückung.
Text: F.A.Z., 17.06.2005, Nr. 138 / Seite 37
Bildmaterial: AP, dpa/dpaweb