WR 13.06.2019
Songs aus einem besseren Amerika „Western Stars“ ist Bruce Springsteens erstes Quasi-Solo-Album seit „Devils & Dust“: Ein wärmendes Lagerfeuer voller wunderbarer Lieder von der Sehnsucht Bruce Springsteen im September wird er 70 Jahre alt.
Steffen Rüth
Das muss man sich ja auch erst einmal trauen. Ein ganzes Album zu veröffentlichen, auf dem nicht ein einziges Mal Name, Wirken oder Wesen Donald Trumps erwähnt wird. Nicht einmal in Anspielungen. Nicht einmal in Metaphern. Nein, gar nicht. Politik ist überhaupt kein Thema auf „Western Stars“.
Auch andere gängige Sujets der späten Zehnerjahre finden sich in keinem der 13 Songs. Kein Internet, kein Stress, kein Burnout. Es wirkt schon sehr so, als habe Bruce Springsteen auf seinem neunzehnten Studioalbum den rauen Wind der Wirklichkeit, der uns Westmenschen ja täglich um die Ohren gepustet wird, vollkommen beabsichtigt außen vor gelassen. Das ganze Generve kann draußen bleiben, hat mal Pause, 50 Minuten und 50 Sekunden lang. Und das war eine wirklich großartige Idee. Denn selten klang die Verbindung aus heiler Welt und Weltschmerz so bestechend schön und stimmig wie auf „Western Stars“.
Bruce Springsteen, so ist zu hören, hat diese Songs bereits vor zwei Jahren aufgenommen, ursprünglich sollte das Album schon 2018 erscheinen. Doch dann spielte er ein Jahr fast Abend für Abend am Broadway in New York und hatte zu viel zu tun, um sich der Veröffentlichung widmen zu können. Aber diese Lieder werden ja nicht schlecht. Im Zentrum steht zunächst einmal die Stimme des Bosses, oft warm und weich wie ein Kamillentee, manchmal etwas knarziger so wie in „Somewhere North of Nashville“, auf dem er stimmlich beinahe an Bob Dylan erinnert. Kein Mann-mit-Gitarre-Werk
Doch auch wenn die Platte eher sparsam instrumentiert und akustisch klingt, so ist „Western Stars“ ein großes Stück davon entfernt, ein minimalistisches Mann-mit-Gitarre-Werk zu sein. Mit seinem Produzenten Ron Aniello, der schon Springsteens letztes Studioalbum „High Hopes“ (2014) aufnahm, fährt er vielmehr ein üppiges Instrumente-Buffet auf. Akkordeon, Banjo und Fidel verpassen den Stücken einen gewissen Country-Anstrich („Chasin’ Wild Horses“ gäbe auch als Filmmusik für einen Spätwestern eine glänzende Figur ab), und immer wieder gelingt der Spagat aus Pedal-Steel-Gitarre und einsetzendem Orchester, manchmal sind es auch nur ein paar Streicher, etwa im Titelsong oder in „Drive Fast (The Stuntman)“.
Mehr als 20 Musiker sind insgesamt dabei, auch der Klassikfachmann Jon Brion und Bruce’ Frau Patti Scialfa, die auf vier Songs im Hintergrund singt, aber niemand von Springsteens etatmäßiger E Street Band, somit ist „Western Stars“ sein erstes Quasi-Solo-Album seit „Devils & Dust“ (2005). Mit der deutlichen orchestralen Komponente erinnert das Album mitunter an die großen Kompositionen eines Glen Campbell oder Burt Bacharach aus den 1960er- und 70er-Jahren. Besonders opulent, überwältigend und in wunderbar goldenen Harmonien fängt Bruce Springsteen dieses Grundgefühl der guten alten Zeit in „There Goes My Miracle“ auf, einem der zugleich wenigen Songs neben „The Wayfarer“, den man nicht dem klassischen Balladenfach zuordnen möchte.
Ja, es passiert nicht so schrecklich viel auf diesem Album, mit diesen (fiktionalen) Charakteren. Die großen Dramen spielen sich sonst wo ab, aber nicht auf „Western Stars“. Bruce Springsteen entführt uns in eine Welt von Männern, starken, schwachen, unsicheren, glücklichen, Männern, die abends in ihren Vorgärten sitzen und Bier trinken, die mit Zügen („Tuscon Train“), dem Auto („Hitch Hikin’“) oder dem Truck („Sleepy Joe’s Cafe“) durch ein Amerika reisen, das ein besseres Amerika war - und vielleicht ist sie hier doch noch, die politische Komponente. Die Straßen in diesen Songs schimmern „golden brown“ und ein Pärchen bewundert einen malerischen Sonnenuntergang („Moonlight Motel“), bevor die Realität aus „Kindern und Rechnungen“ die Romantik ablöst, die Liebe bleibt trotzdem bestehen. „Western Stars“, mit dem Bruce Springsteen nicht auf Tournee gehen wird, ist ein Lagerfeuer von einem Album. Es prasselt sich sanft in die Seele
Es tut gut, es wärmt, es prasselt sich sanft in die Seele, es steckt voller wunderbarer Lieder von der Sehnsucht, sprich vom Vermissen und sich Aufs-Wiedersehen-Freuen wie in „Sundown“, von kleinen Menschen und großen Träumen, von der Liebe. Mehr braucht man eigentlich nicht. Und Bruce Springsteen, mit seiner Bruce-Springsteen-Stimme und seinem gesamten Bruce-Springsteen-Sein als solchem, bringt dieses versöhnlich stimmende Grundgefühl des „Wird schon irgendwie werden, Baby, wenn wir nur an uns glauben“ meisterhaft auf den Punkt. Als Alterswerk sollte man „Western Stars“ aber nicht verstehen. Gerade hat Springsteen, der am 23. September 70 Jahre alt wird, angekündigt, im Herbst ein neues Rockalbum mit seiner E Street Band aufzunehmen und 2020 wieder auf Tournee zu gehen.
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