http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/pop_und_jazz/einer_probt_den_aufstand_1.15592285.html9. März 2012, Neue Zürcher Zeitung
Einer probt den Aufstand
Bruce Springsteens neues Album «Wrecking Ball
Die betont eilfertig hingeschmierte Pinselschrift auf dem Cover erinnert nicht ohne Grund an ein Demo-Plakat. Der Boss will mitmarschieren. Offenbar ermuntert vom Erfolg der «Occupy Wall Street»-Bewegung, hat er ein dezidiertes Protestalbum eingespielt mit diversen Referenzen an linke amerikanische Traditionen wie dem Civil Rights Movement. Wie Neil Young, der sich nach 9/11 vor den patriotischen Karren spannen liess, um dann doch wieder auf die traditionell gesellschaftskritische Linie seiner besten Jahre einzuschwenken, hat Bruce Springsteen nach dem Sündenfall von «The Rising» sein altes Klassenbewusstsein über den Umweg der Traditionspflege («We Shall Overcome: The Seeger Session») wiedererlangt, hernach die Kriegsmüdigkeit und Depression seiner Nation ebenso eingefangen (in dem düsteren «Magic»-Album) wie die optimistische Stimmung nach Bushs Abwahl («Working on a Dream»).
Die Metaphorik der Abrissbirne
Und jetzt geht es sozusagen gegen die Heuschrecken der Grossfinanz. «Wrecking Ball» heisst Bruce Springsteens neues Album. «Wrecking Ball» – die Abrissbirne im Titelsong, der sein geliebtes Giants Stadium in den Meadowlands zum Opfer gefallen ist («and all our little victories and glories have turned into parking lots»), wird hier zur Grossmetapher für die «grundlegende Zerstörung einiger amerikanischer Werte und Ideen, die sich über die vergangenen dreissig Jahre hinweg zugetragen hat», wie er kürzlich bei der offiziellen Präsentation des Albums in Paris erklären zu müssen glaubte. Das wäre nicht nötig gewesen, denn so explizit wie in seinen neuen Songs hat er sich selten geäussert. Schon der Opener «We Take Care of Our Own» schliesst mit einem langen Fragen-Lamento, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. «Where the eyes, the eyes with the will to see? / Where the hearts, that run over with mercy? / . . . / Where's the promise, from sea to shining sea? / Where's the promise, from sea to shining sea? / Wherever this flag is flown?»
Man darf von Springsteen immer noch keine Analyse erwarten – allemal jedoch eine einfühlende Zustandsbeschreibung des gesellschaftlichen Unbehagens in einem Amerika, in dem «the banker man grows fat, working man grows thin», wie er es in «Jack of All Trades» besingt. Und dieses Mal bleibt es nicht bei der desillusionierten Beschreibung des Status quo. Wie seine grossen Agitprop-Vorbilder Pete Seeger und auch Woody Guthrie sieht er endlich wieder einen Silberstreif am Horizont. «There's a new world coming, I can see the light / I'm a Jack of all trades, we'll be alright.» Und es scheint fast so, als würde er diese Erneuerung der alten Counter-Culture-Ideale hier noch einmal ausdrücklich beschwören: «You take the old, you make it new.» Radikaler jedenfalls sind die Altvorderen auch nicht gewesen: «If I had me a gun, I'd find the bastards and shoot 'em on sight / I'm a Jack of all trades, we'll be alright.»
Das ist natürlich Rollenprosa. Aber hat man von Springsteen je ein solches Radikalinski-Fazit gehört? Über das ganze Album verstreut finden sich diese Oppositions-Gesten, als wollte sich der Boss um einen Gig auf dem nächsten «Occupy»-Camp bewerben. Etwa wenn er «Land of Hope and Dreams», einen Song über den Aufbruch ins gelobte Land, in dem soziale Gerechtigkeit nicht nur ein Wort ist, ausgerechnet mit einem Sample von Curtis Mayfields schwarzer Kampfansage «People Get Ready» einleitet und dessen auffordernde Slogans zitiert, endlich aufzuspringen auf den Zug. Oder wenn im Epilog seines modernen Sklavenarbeiter-Songs «Shackled and Drawn» eine exaltierte Gospelsirene den Aufstand einläutet: «I want everybody to stand up / I want everybody to stand up and be counted tonight.» – Und in «Death to My Home Town» warnt das erzählende Ich seinen Sohn eindrücklich vor den Spekulanten und Finanzhaien, die seine Stadt zerstört haben. Und er gibt ihm diesen Song mit auf den Weg.
Auch das entspricht alter romantischer Protestsong-Schule, die er hier noch einmal zelebriert: Triffst du das Zauberwort bzw. den richtigen Akkord, dann wird das die Welt zum Besseren verwandeln. Dazu passt auch der Optimismus, den diese Songs zumeist auch musikalisch verbreiten. Bis auf ein paar R'n'B-Schnipsel und Trip-Hop-Loops, die der Produzent Ron Aniello mit ins Spiel gebracht hat, scheint das «Jack of All Trades»-Credo – «You take the old, you make it new» – auch dasjenige Springsteens gewesen zu sein. Die alten Americana-Roots werden noch einmal freigelegt, ein verzweigtes Wurzelwerk aus Folk, Country, Rock, aber auch Blues, Soul und Gospel, das er zu meistens munteren, aufgeräumten und, wie es seine Art ist, immer etwas taumeligen Losstampf-Nummern verbaut. Da schlängeln sich flinke Fiddles über die ausladende Song-Veranda, da jubilieren die Flöten, und Bläser schmettern den Marsch, und gelegentlich überhöhen Gospelchöre die erdigen Handarbeits-Songs mit einer grossräumigen sakralen Aura.
Optimismus trotz bitteren Pillen
Von schlechter Stimmung kann keine Rede sein, musikalisch wird hier nicht lamentiert, trotz den bitteren Pillen, die man zu schlucken hat. Als würde sich die Band selbst auflehnen gegen die Desillusion. So entsteht Doppeldeutigkeit. Die Entrüstung wird umgeschmolzen in Optimismus. Deutlich zu spüren ist das im Titelsong «Wrecking Ball». Wenn sich der Sänger da eine Armee imaginiert, die ihm zur Seite steht und für die er sogar Tote rekrutiert, dann wird der ewige, von einer grandios auftrumpfenden Band durchgepeitschte Sing-along-Vers «Bring on your wrecking ball» zu einem Schlachtruf, dann meint die Abrissbirne am Ende eben nicht mehr das moralisch desolate, destruktive Finanzsystem, sondern den Aufstand der ehrlich Empörten. «Bring on your wrecking ball / Come on and take your best shot, let me see what you've got / Bring on your wrecking ball.» Und jetzt versteht man auch, warum die Band hier über die Stränge schlägt. Springsteen probt den Aufstand. Das mag alles etwas simpel gestrickt sein, umso durchschlagender ist es in der Wirkung.