Hier mal eine nicht so optimale Kritik von home of Rock.de:
Die Verehrung des Musikers Bruce Springsteen als Heilsbringer und Arbeiterdenkmal hat längst quasireligiöse Züge angenommen, vergleichbar nur noch mit dem Kult um Bob Dylan. Allerdings schafft der alte Nuschel-Bob es immerhin noch, seine Jünger mit dadaistisch anmutenden Texten anständig zu verwirren, während der "Boss" seit Jahren nur noch die Leidensnummer drauf hat. Springsteen ist die Veronica Ferres des Rock & Roll. Diesmal, bzw. einmal mehr, nimmt sich der weltberühmteste Holzfällerhemden-Ärmelaufkrempler das Siechtum seiner Hometown, seines Countys, seines Bundesstaates und der gesamten Vereinigten Staaten von Amerika vor - und ich sage euch, er wird den Karren mit seiner Abrissbirne ("Wrecking Ball") auch nicht mehr aus dem Dreck ziehen, denn die ist aus Pappe.
Man muss sich als Mitteleuropäer diesen Springsteen-Spagat mal vorstellen: der Mann ist glühender Amerikaner und Patriot, bibeltreuer Christ, Demokrat, Ikone, Bänkelsänger, Multimillionär, Klassenkämpfer, wertkonservativ bis auf die Knochen, für manchen Fan noch immer die einzig wahre Zukunft der Rockmusik, Mitbegründer der letztlich unseligen Stadion-Rock Ära und Chefankläger aller Missstände und Missetäter, die "sein" Land konsequent in den Abgrund treiben. Sozusagen Mutter Theresa, Jeanne d'Arc, Obama (von dem er inzwischen bitterlich enttäuscht ist), Kennedy, Lincoln, Washington, Gandhi, Mafia-Ankläger und enthusiastischer Schwenker des "Star-Spangled Banner" in einer Person. Jetzt mal ehrlich, wie hört sich das an? Genau. Wie eine Figur aus der Disney-Werkstatt. Allerdings ist der Disney-Kollege Jack Sparrow deutlich vergnüglicher als ein von This Depression nölender Springsteen. Seit Jahrzehnten spricht man bei Springsteen von "ehrlicher Rockmusik", und seit Jahrzehnten ist das unreflektierter Nonsens. Der Mann hat ein paar der größten Songs des letzten Jahrhunderts geschrieben, das ist keine Frage, aber er ist, verdammt noch mal, eine selbst- und fremdinszenierte Gelddruckmaschine, die bei der alsbald stattfindenden Welttournee wieder Millionen generieren wird - und dabei schamlos T-Shirts und bedruckte Tassen aus Billiglohnländern zu völlig überteuerten Preisen verticken wird. Und jetzt zur CD "Wrecking Ball".
Es gibt viel Folk, einmal sogar ganz witzigen Seemannsfolk (American Land), außerdem gibt es homöopathische Dosen alter E STREET BAND Herrlichkeit und ein paar Zuckergüsse fürs Feuerzeug schwenkende Stadionpublikum. Der Rest ist den Titeln und Texten angemessene Tristesse. Da mag der Volksheld noch so sehr das Easy Money der Spekulanten an- und mit (unpassenden) Indianergesängen Death Of My Hometown beklagen, das Ergebnis ist schlicht und einfach nur routinierte Songwriterarbeit eines anerkannten Könners, die dem Hörer ganz simpel durchs Ohr flutscht, ihm aber nicht ans Gemüt geht. Als nichtssagende Zugabe bekommt man Unerheblichkeiten wie Rocky Ground oder Land Of Hope And Dreams, die zu computergesteuerten Hintergrundgeräuschen gar arg wichtige Botschaften mitsamt Frauen- und sogar Gospelchorgesang vermitteln - und gar nichts über das wirklich trostlose Leben mit Hartz IV sagen. Das Sax-Solo des verstorbenen Clarence Clemons im schon 13 Jahre alten Land Of Hope And Dreams ist allerdings bewegend.
"Wrecking Ball" mag dem einen oder anderen Sozialromantiker hierzulande gefallen, wobei die böse Geschichte von der schussbereiten Smith & Wesson in Easy Money (dem mit Abstand besten und lebendigsten Song des Albums) selbstverständlich politisch ganz und gar unkorrekt ist, aber auf jeden Fall ist das amerikanische Mittelklassepublikum begeistert und die potentiellen Verlierer im Mittelwesten und den sterbenden Industriestädten wie Detroit werden Bruce für seine "Zugehörigkeit" noch mehr lieben. Ja, Leute, Bruce ist einer von Euch! Es trennen euch nur ein paar Millionen und eure Zukunftsperspektiven. Dem deutschen Hörer könnte womöglich auffallen, dass der Inhalt von We Take Care Of Our Own in etwa so spannend wie eine Verlautbarung der FDP ist und das gesamte Album gesellschaftspolitisch so viel Brisanz wie Ursula von der Leyens Aussagen zur Familienpolitik besitzt. "Wrecking Ball" ist musikalisch langweilig, unerheblich und mit seinen krampfhaft neuzeitlich-technoiden Mini-Versuchen putzig lächerlich. Die Texte sind bestenfalls für die genannten Midwest-Loser relevant, aber nicht als Lebenshilfe geeignet.
Fred Schmidtlein, (Impressum, Artikelliste), 04.03.2012
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