Ich les ja kaum noch Science-Fiction... hab wohl irgendwie den Bezug dazu verloren... irgendwann letztes Jahr hab ich das hochgelobte Metro 2033 gelesen und war ziemlich enttäuscht, nach einem ordentlichen Einstieg war eine an sich grandiose Plotidee nur eine in die Länge gezogene Einfallslosigkeit, die die vielfältigen Möglichkeiten des Szenarios viel zu wenig nutzt.
Jetzt fiel mir aber ein Sci-Fi-Roman aus den 80ern in die Hände, der mich doch durchaus beeindruckt hat: "Das Tier des Himmels" von Victor Kelleher, ein relativ kurzes (ca. 250 Seiten) aber doch sehr intensives Spiel mit unzähligen Metaebenen.
Der Plot des Romans ist selbst nicht sonderlich originell: eine düstere, zukünftige Welt nach einem Atomkrieg, deren Bewohner alleiniger Lebensinhalt in der Nahrungssuche zu bestehen scheint. Dass der Autor noch unter dem Eindruck des Kalten Krieges schrieb, merkt man deutlich.
Interessant wird es aber durch die Metaebenen. Deutlich inspiriert ist der Roman von John Miltons "Paradise Lost" und folgt dabei einer äußerst umstrittenen Interpretation von Miltons Epos, demnach Luzifer der eigentliche Fürsprecher für die Freiheit des Menschen gegenüber einer diktatorischen Gottheit ist, die dem Menschen zwar den freien Willen zugesteht, ihn bei Fehlverhalten aber -zum Teil übertrieben hart- bestraft.
Bei Kelleher wird Miltons Streit zwischen Gott und Luzifer (der mit der Vertreibung Luzifers aus dem Himmel endet) von zwei Computerprogrammen "durchgeführt", die die Verfügungsgewalt über ein Nukleararsenal haben. Dabei entfernt sich Kelleher aber erfrischend von den Allmachtsphantasien Miltons und macht deutlich, dass die beiden Programme (respektive Gott und Luzifer) eigentlich völlig machtlos sind, da der Atomkrieg auch ohne ihre Entscheidung, was mit dem Nukleararsenal zu tun ist, stattfindet. Dass sie in völligem Desinteresse der Realität stur weiter diskutieren über die Frage, ob der Mensch denn würdig ist, über solch eine Waffe zu verfügen, ist geradezu grandios.
Auch theologisch geht Kelleher über Milton hinaus, denn er lässt seine beiden Computerprogramme mehrfach darauf hinweisen, dass sie von Menschen erschaffen wurden, in gewisser Weise damit selbst Menschen darstellen (zumindest auf intellektuelle Weise), sich aber gleichzeitig über den Menschen stellen, als wären sie eine geradezu "evolutionäre" (!) Weiterentwicklung. Gleichwohl wird aber immer wieder deutlich, dass sie vollkommen abhängig von der Menschheit sind. Einmal bezeichnet das eine Programm die Menschen sogar als "ihre Götter", ein kurioser Kunstgriff, wenn man bedenkt, dass die beiden Programme klar mit Miltons Gott und Miltons Luzifer aus Paradise Lost gleichgesetzt werden.
Parallel dazu wird nun der Überlebenskampf einer kleinen "Sammlergruppe" (Jäger iss nich mehr) erzählt, die in einer Art steinzeitlichen Gemeinschaft leben mit einem Häuptling, einem Priester, einer Schriftgelehrten und einem "Sensor", so eine Art Prophet. Ihre Religion besteht aus einem Ahnenkult, wobei ihre Götter die Menschen vor dem Atomkrieg sind, von denen sie glauben, sie würden immer noch über sie wachen. Der Spannungsbogen des Romans ist dabei, dass der "Sensor" Schritt für Schritt die Wahrheit über "die Alten" (also die Menschheit vor dem Atomkrieg) erkennt, vor allem, dass sie eben nicht mehr über sie wachen.
Interessanter Subplot ist auch die "Schriftgelehrte". Sie besitzt erhaltene Mikrofilme aus der Zeit vor dem Krieg, die nur sie lesen kann, weil die Aufgabe der Schriftgelehrten nur von Meister zu Lehrling von Generation zu Generation weitergegeben wird. Ihr ist längst klar, dass das gesamte Konzept ihrer Religion mit der Realität nichts zu tun hat, hält aber daran fest, weil es die Gemeinschaft zusammenhält. Immer wenn schwere Entscheidungen anstehen, liest sie relativ willkürlich irgendeinen Text der Mikrofilme vor, anhand dessen dann entschieden wird, was zu tun ist. So fischt einmal zum Beispiel einen Text über den Aufstand der Herero raus, und weil dort drin steht, dass sie durch die Wüste geflohen sind, entscheidet die Gemeinschaft nun auch durch die Wüste zu ziehen. Ein grandiose Anspielung auf die ständige Neuinterpretation mittels gelehrtem Missverstehen von Heiligen Büchern wie Bibel, Koran, Tora, etc.
Das titelgebende "Tier des Himmels" ist übrigens (neben der offensichtliche Anspielung auf eine Verszeile aus der Offenbarung des Johannes) ein stumpfsinniges Monster, dass die Sammler durch die Wüste jagt und dabei als "Es" im Sinne Freuds gedeutet werden kann.
Zum Ende hin gibt es dann auch noch einen grandiosen Plot-Twist, den ich aber hier jetzt nicht verraten werde, falls das Buch mal jemand lesen will.
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