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Entspannter Blues und die Intensität des Soul - das konzentrierte CD-Cover löst sein Versprechen ein.
Hamburg. Das Coverfoto hätte einer jener Fotografen geschossen haben können, die die einstige Würde und Großartigkeit Amerikas und seiner Bewohner ohne Pathos mit der Kamera festhielten. Edward Curtis zum Beispiel oder Ansel Adams. Das Schwarz-Weiß-Bild zeigt das scharf geschnittene Profil des Künstlers Marius Müller-Westernhagen. Halb Stadtindianer, halb kühner Visionär, fixiert er ein Ziel außerhalb unseres Blickfelds. Die Nähe zum Gesicht ist trügerisch; der Grafiker hat den Albumtitel "Williamsburg" so montiert, dass die Buchstaben das Auge zutexten.
Das Bild rechts ist die Vorlage des "Williamsburg"-Covers. Bryan Adams, als Fotograf längst fast so berühmt wie als Rockstar, hat es im April in New York aufgenommen. Westernhagen hatte ihn für die Optik des Albums gebucht, das er erst in den zwei Folgewochen aufnehmen wollte. Ein Kunstwerk wurde aus dem Schnappschuss am Ende eines langen Tages erst in der Nachbearbeitung: Der Hintergrund auf der Plattenhülle ist schwarz, der Anschnitt perfekt. Das Bild ist das Ergebnis der Konzentration aufs Wesentliche. Ein Versprechen, das die Platte auf verblüffend geglückte Weise einlöst.
Mit einer Combo aus sechs überragend entspannt aufspielenden New Yorker Musikern hat Westernhagen in einem Studio im aufstrebenden Brooklyner Stadtteil Williamsburg sein bisher bestes Album aufgenommen. Vor dem uramerikanischen Panorama von Westerngitarren, E-Gitarre, Orgel, Akkordeon, Fiddle, Pedal steel guitar und einem geradezu unverschämt ausgeruhten und dennoch herrlich druckvollen Schlagzeug entfaltet sich die Kunst dieses von vielen leidenschaftlich gehassten Sängers, den in den 90er-Jahren eine geradezu messianische Aura umgab. Westernhagen tut hier, was er am besten kann: Er setzt seine Stimme ein wie ein Rhythmusinstrument, er isoliert einzelne Wörter und Silben und legt die ganze Intensität von Soul und Rhythm 'n' Blues in seinen Gesang.
"Du erreichst die Leute ja nicht durch die Worte, sondern durch die Energie, die du aussendest", sagt Westernhagen über die Kunst des Schauspielers. Der Satz gilt auch für seinen Gesang. Man spürt, dass solche Musik das Grundnahrungsmittel seiner Kindheit und Jugend war. "Unsere Generation hat keine musikalische Identität", sagt der 60-jährige Sänger. Aufgewachsen im Nachkriegsdeutschland, das sich rasch zum Wirtschaftswunderland mauserte, brachten deutsche Radiosender damals allenfalls Schlager. "Das fandest du vollkommen bekloppt", erinnert sich Westernhagen. Er meint sich, wenn er "du" sagt. Er spricht fast nie von sich als "ich". Unter der Bettdecke hörte er nachts Radio Luxemburg und entwickelte eine Leidenschaft für amerikanische Musik.
Bei einem Künstler dieses Ruhms vermuteten Reifegrads und Kontostands will man kaum glauben, dass er Scheu davor hatte, amerikanische Musiker zu fragen, ob sie mit ihm eine Platte aufnehmen würden. Auch im Alltag - und zuletzt auf den großen Litfasssäulen zur "Bild"-Werbung - ist er stets nur mit getönten Brillengläsern unterwegs, zeigt sich nun auch den Käufern seiner neuen Platte so wie seit Jahren: indem er den Blick in seine Augen verwehrt.
Und Westernhagen wirkt ehrlich, wenn er sagt, wie ihn das "Nicht-Selbstbewusstsein" als Deutscher lange Zeit gehemmt habe. Der Produzent Kevin Bents, der Westernhagens Album "In den Wahnsinn" produzierte, fädelte die Sache schließlich ein und engagierte Kollegen, die man nur für Geld nicht kaufen kann. "Sie wollten die Texte übersetzt haben, und da wurde ich noch nervöser, denn Larry Campbell, der auf meiner Platte Gitarre spielt, war schließlich zehn Jahre bei Bob Dylan." Und Dylan gehört neben Bruce Springsteen und Randy Newman zu Westernhagens Hausgöttern.
Schade, dass er sie nicht noch rigoroser anbetet, wenn es ans Texten geht. Denn Lyrik gehört nach wie vor nicht zu Westernhagens Stärken. Über falsche Silbenbetonungen ("Du brauchst dich nicht zu schämen, du bist nicht allein/nur ein bisschen durcheinander, du bräuchtest ein Glücksschwein"), an den Haaren herbeigezogene Reime ("welkt/quält/Geld") und mit der Brechstange gedichtete Verse ("Schmeckt bitter nach Versagen/dreht mir herum den Magen") muss man gnädig hinweghören. "Ich halte Künstler für Medien", doziert Westernhagen gern. "Wir sind wie Schwämme. Du saugst alles auf, und wenn du dann schreibst, kommt die Essenz dabei heraus."
Man kann den letzten Song der Platte, "Aus dir Mutter", mit seiner simplen Rettet-die-Erde-Botschaft als Kitsch abtun. Musikalisch ist dieser Appell an die Bewahrung der Schöpfung eine Wucht. Man weiß schon, zu welchem Song die Leute ihre Feuerzeuge zücken werden, wenn Westernhagen im Herbst 2010 für zehn Arena-Konzerte auf die Riesenbühnen zurückkehrt.