Heute in der Frankfurter Rundschau:
Bruce Springsteen Regierungsnaher Rocker VON STEVEN GEYER
Es ist ein Auftitt auf dem Olymp der US-Popkultur, aber für Bruce Springsteen könnte es sich anfühlen, als würde er bloß auf der Stelle treten.
Sicher: Mehr als 100 Millionen Fernsehzuschauer werden ihm am Sonntag zuhören, wenn er mit seiner E-Street Band in Tampa, Florida, die Halbzeitshow des Super Bowl bestreitet. Das Finale der US-Football-Liga ist die meistgesehene TV-Sendung des Jahres, der Höhepunkt des größten inoffiziellen Feiertages der USA. Auf diese Bühne dürfen nur Popgrößen wie Michael Jackson, U2, Rolling Stones und Paul McCartney.
Nur: In dieser Liga spielt Bruce "The Boss" Springsteen ja längst. Er hat fast 300 Songs geschrieben und weltweit mehr als 120 Millionen Alben verkauft, gewann Oscar, Emmy und 18 Grammys. Für seine neue CD "Working On A Dream" bekam er so viel Aufmerksamkeit wie kein anderer Musiker in den letzten Monaten.
Der Zwölf-Minuten-Gig beim Superbowl ist so vor allem für die Veranstalter ein Coup. Die beknien den Rockstar schon seit 20 Jahren, ihre Final-Show zu beschallen. Die Anhänger Springsteens hingegen sind weniger in Festtagslaune. Sie debattieren öffentlich, ob ihr Idol, die Stimme der einfachen Leute, sich nicht von einer riesigen Kommerzschau hat kaufen lassen.
Zur Person Bruce Springsteen wurde 1949 als Sohn eines Tagelöhners in New Jersey geboren. Den Durchbruch schaffte er 1975 mit der LP "Born To Run", erster Megahit war 1984 "Born In The USA".
Sein neues Album "Working On A Dream", das dieser Tage erschien, stellt er auch in Deutschland live vor: am 2.7. in München, am 3.7. in Frankfurt. Auf seiner MySpace-Seite gibt es Hörproben.
Am Sonntag spielt er als Highlight der Halbzeitshow des Superbowl (siehe Seite 32), live in der ARD ab 0.10 Uhr. Schließlich stand derselbe Sänger vor wenigen Tagen als aufrechter politischer Aktivist auf der Bühne - auf einer historischen. Leicht gelocktes Wuschelhaar, Unterlippenbärtchen, dunkle Jeans: Mit altbewährtem Äu0ßeren, doch innerlich wie befreit winkte der Sänger von den Stufen des Lincoln Memorial in Washington dem Publikum zu, hinter sich hunderte Gospelsänger in roten Roben, hinter sich das Denkmal des streng dreinblickenden Abraham Lincoln, am Bühnenrand Barack Obama. Bei der Feier vor der Amtseinführung spielte Springsteen natürlich als Hauptact. Kaum ein Künstler hatte so für Obama geworben wie er.
"Come on up for the rising", sang der Chor hymnisch, einer der neueren Springsteen-Hits: Kommt, erhebt euch zur Auferstehung! Springsteen hatte diese Zeilen nach den New Yorker Anschlägen vom 11. September 2001 geschrieben, das zugehörige Album bescherte ihm sein Comeback.
Die Seele der Nation
Vor allem erreichte er mit dem spirituell angehauchten, aufmunternden "The Rising" wieder die Seele der Nation. Ähnlich, wie er 1975 mit seinem legendären Album "Born To Run" genau die Stimmung im Lande eingefangen hatte. Für die Zeit nach Vietnam und Watergate fand Springsteen den passenden Soundtrack: eine aktualisierte, aber zeitlos anmutende Version des Bluesrock mit Texten über den Verlust der Unschuld und die Flucht aus der Tristesse. Ein Kunststück, das ihm knapp zehn Jahre später wieder gelang: Das Album "Born In The U.S.A." spiegelte mit seinen Kleinstadt-Dramen die wachsende soziale Kluft der Reagan-Zeit wider.
Dass Springsteen sich all die Jahre aus der Parteipolitik herausgehalten hatte, machte ihn zum echten Volksrocker. Genau dieses Image setzte er aufs Spiel, als er um 2003 erstmals die Deckung fallen ließ und gegen Bushs Irakkriegpläne trommelte. Spätestens, seit er Bushs Wahlsieg von 2004 in seinem wütenden Rockalbum "Magic" verarbeitete, musste man Springsteen wohl endgültig nicht mehr nur als Americana-Chronisten, sondern als politischen Künstler sehen.
Seinem neuen Album "Working On A Dream" hört man nun an, dass mit der Machtübernahme des jungen, schwarzen, weltoffenen und popkulturell exakt auf Springsteen-Linie liegenden Barack Obama sein Traum wahr geworden ist. Die Platte gleicht einer Symphonie des Optimismus. Der Blues ist verschwunden, die Rocksongs prunken mit fröhlichen Sha-la-lala-Chöre und dick aufgetragener Euphorie.
Pathos bis zum Abwinken
"Ich zeige dir, was Liebe schaffen kann", singt Springsteen, von seinem "Glückstag" und, im Titelstück: "Der neue Tag bricht an, und ich arbeite an einem Traum". Springsteen war nie der Mann für doppelte Böden oder feine Ironie, noch 2005 - nach dem zweiten Wahlsieg George W. Bushs - spielte er ein Album zu Ehren der Folk-Legende und Bürgerrechtsikone Pete Seeger ein: "We shall overcome" singt Springsteen da, "wir werden es überwinden ... wir werden Hand in Hand schreiten". Das alles ohne jede Ironie oder gar Sarkasmus, als hätte es die nihilistischen 90er mit Nirvana und Green Day nie gegeben. Jetzt kommt es noch dicker: Springsteens Begeisterung über den politischen Wechsel bringt das Pathos zum Überlaufen.
"Ich habe 35 Jahre lang über Amerika gesungen", hatte er vor Veröffentlichung gesagt. "In der Wahlnacht hat es sein Gesicht gezeigt." Beim Einspielen der neuen Songs muss er so voller Vorfreude gewesen sein, dass er nun den ersten Soundtrack zur Obama-Ära vorgelegt hat. Springsteen, der Anfang der 70er Jahre als einfacher Bursche aus der Provinz New Jerseys aufbrach, den Geist Amerikas einzufangen, ist angekommen. Zumindest empfindet er selbst es wohl so. Man mag es ihm gönnen. Schließlich wird er im Herbst 60.
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