Nach langem Zögern habe ich mich heute doch entschlossen, ein ausführliches "Review" des Albums zu verfassen:
Vorab kann man sagen, dass - im Gegensatz zu Magic - meine Meinung zu den Liedern sich nach mehrfachem Hören nur marginal geändert hat. Viele Lieder von Magic "wuchsen" noch beim wiederholten Hören, bei Working on a Dream ist das nicht der Fall.
Outlaw Pete: wohl der ungewöhnlichste Opener, den Springsteen ja auf ein Album gepackt hat. Gefiel mir beim ersten Hören eigentlich am besten, weil es anders wirkte als der "typische Springsteen" und trotzdem kein musikalischer Totalausfall war. Musikalisch gibt es Anleihen bei Morricone und Kiss, der Text und die Atmosphäre des Liedes ist dagegen an alten Westernlegenden angelehnt, eine Geschichte mit übertriebenen, unrealistischen Anekdoten zur Charakterisierung der Hauptfigur (At six month old, he'd done three month in jail, charakterisiert die Hauptfigur als den "geborenen Verbrecher", ist aber natürlich nicht als wörtliche Wiedergabe eines tatsächlichen Ereignisses zu verstehen). In diesem Stil hat man sich früher am Lagerfeuer Geschichten erzählt. Jesse James ist ein Lied, das hier sicher seinen Einfluss hatte, wie überhaupt in Outlaw Pete neben Tomorrow Never Knows am ehesten die Seeger Sessions noch nachhallen.
Das zu imitieren, gelingt Springsteen in dem Lied sehr gut. Aber es hat auch Schwächen. Der Story fehlt es ein bisschen an Tiefe, der Versuch in den letzten beiden Strophen große Bilder zu erzeugen, gelingt nur bedingt - oder anders gesagt, die Idee, das Schicksal Outlaw Petes offen zu lassen ist ebenso gut wie das Bild vom "icy mountain top", doch die letzten beiden Zeilen von dem Navajo Mädchen versacken als Metapher völlig. Die Anleihen bei John Henry sind hier augenscheinlich und bei weitem nicht so einprägsam und prägnant wie bei diesem.
Auch musikalisch finden sich jede Menge guter Ideen, die aber irgendwie nie ganz zu Ende gedacht worden sein scheinen, so wirkt das Lied mit acht Minuten schlicht etwas zu lang für die Ideen, die in ihm stecken. Das offenbar gewollte "Epische" erreicht das Lied eigentlich nie. Trotzdem bleibt es eines der Highlights auf dem Album. Allerdings eines, dem es gut getan hätte, noch ein wenig daran zu arbeiten.
My Lucky Day schießt von allen Lieder am Rockigsten aus den Boxen. Stilistisch wirkt es wie ein The River-Outtake und ist somit definitiv auch eines der besseren Lieder auf dem Album. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass es eine Menge wirklicher The River-Outtakes gibt, die deutlich besser sind als My Lucky Day. Der Text ist völlig nichtssagend und wirkt wie ein Alibi, weil irgendwas zu der Musik halt gesungen werden muss. Nicht eine Textzeile, die irgendwie hängen bleiben würde, einem aufhorchen lässt. Als Livenummer sicher brauchbar. Aber ein Lied, das er früher um 5.00 Uhr morgens geschrieben und um 5.30 Uhr in die Tonne gekloppt hätte.
Working on a Dream: musikalisch kommen die Strophen wie ein ganz ordentlicher Folksong daher, der beim Refrain dann jedoch in eine furchtbar schmalzige Schnulze übergeht. Da versaut er das Lied, anders kann man es nicht sagen. Der Text ist zudem auch für seine Verhältnisse viel zu pathetisch uund trivial, auch hier sieht man wieder den Versuch alten Folk zu kopieren, der "schwingende Hammer" erinnert doch wieder sehr an John Henry, jedoch ohne auch nur im Ansatz die Vielschichtigkeit von letzterem zu erreichen. Der Text ist platt und ähnlich wie My Lucky Day auch ohne irgendeine Zeile, die einen irgendwie aufhorchen lässt.
Queen of the Supermarket: klar, beim ersten Mal hören, dachte ich nur: "Um Gottes Willen, was ist das denn?", schmalzig, schnulzig, grausiger Text... wenn man sich aber mal klarmacht, dass das Lied satirische Aspekte hat, kann man ihm wirklich was abgewinnen. Denn gerade das, was viele Leute hier abschreckt, ist das, was an dem Lied funktioniert.
Es erzählt die Geschichte von jemanden, der vor lauter Verliebtheit drei Meter über dem Boden schwebt und statt das irgendwie in poetische Worte zu verpacken, müllt Springsteen das Lied mit Kitsch so sehr zu, dass man es nicht mehr ernst nehmen kann. Das macht er eigentlich großartig, nur ist man von ihm solch satirische Anwandlungen nicht gewöhnt, dass man das gar nicht mehr wahrnimmt und das Lied dann eben doch ernst nimmt. Er stellt hier die lächerliche Seite der Liebe dar, gleichzeitig warum einem, wenn man selbst verliebt ist, diese Lächerlichkeit völlig egal ist.
What Love Can Do: erster Eindruck war, das ist ganz okay, aber eigentlich ist es mehr als das. What Love Can Do ist das versteckte Highlight. Zwar lässt es (ein allgemeines Problem bei den meisten der Lieder auf dem Album) mit jedem neuen Element nach, d.h. die Strophe ist das beste, der Refrain schwächelt und die Brücke in der Mitte ist schlicht misslungen, aber davon abgesehen ist das hier genau das, was man von Springsteen eigentlich will: ein für ihn typisches Lied machen, ohne sich dabei selbst ständig zu kopieren.
Auch textlich ist es der typische Springsteen: Scheiß-Welt, aber wir schaffen es. Das Lied hat etwas von Aufbruch und Aufbegehren gegen das eigene Schicksal und das ist die Thematik, die Springsteen beherrscht wie kein zweiter.
This Life: leider folgt danach der absolute Tiefpunkt und zwar ausdrücklich deshalb, weil über This Life auch etwas positives zu sagen gäbe: nämlich der Text. Die Universums-Metaphern sind wunderbar, der Urknall als erste Konsequenz ohne den das Leben und die Liebe des lyrischen Ichs nie möglich gewesen wäre, und die dazu gehörende zirkuläre Doppeldeutigkeit von der Liebe als Urknall selbst, das ist konsequent, einprägsam und von poetischer Schönheit.
Das alles verpackt er aber in solch ein schnulzigen, albernen Streicherteppich und schmalzigen Sing-sang, dass ich jedes Mal den ein oder anderen kleinen oder auch großen Fluch ausstoße, wenn das Lied läuft. Das Lied kann man in Zukunft als Paradebeispiel dafür herannehmen, wie man eine gute Textidee mit einer miserablen Musikidee vollständige pulverisieren kann. Sicherlich das größte Ärgernis auf dem ganzen Album.
Über
Good Eye lässt sich eigentlich nicht viel sagen, es ist ein guter Bluessong, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der Text passt dazu hier wie die Faust aufs Auge, wenn auch hier leider wieder keine Zeile ist, die aufhorchen lässt. Eigentlich schade, dass mir dazu nicht mehr einfällt, da ich es wirklich für eines der besseren Lieder auf dem Album halte. Einzig das Bullet-Mic ist für mich (im Gegensatz zu A Night with the Jersey Devil) etwas zu gezwungen. Hätte er das ganz normal mit seiner rauhen Stimme gesungen, wär's besser gewesen.
Tomorrow Never Knows: die zweite, klar von den Seeger Sessions beeinflusste Nummer. Die Anleihen bei My Oklahoma Home sind offensichtlich. Der Anfang ist zudem ebenfalls eindeutig eine Anleihe bei Looking Out My Backdoor, was leider sehr nachteilig für Tomorrow Never Knows ist, da die CCR-Nummer deutlich besser ist und es immer nachteilhaft für ein Lied ist, wenn es an ein anderes, aber besseres erinnert. Aber so wie Good Eye als Bluesnummer funktioniert, so funktioniert Tomorrow Never Knows als Countrynummer. Ist halt nur die Frage, wie sehr man den einen oder den anderen musikalischen Stil mag... oder eben nicht... so ist für mich Tomorrow Never Knows dann auch schlechter als Good Eye.
Der Text ist ganz okay, plätschert aber ähnlich belanglos dahin wie das ganze Lied. Aus einem (wenn auch nicht ganz originellen) Titel wie "Tomorrow Never Knows" hätte man textlich wirklich mehr machen können.
Life Itself ist dagegen wieder eines der Highlights des Album: eine mystische Atmosphäre, ein überladene Produktion, die hier aber ausnahmsweise mal wirklich passt, und ein Text, der an den Springsteen der späten 70er erinnert mit dem Blick auf ein persönliches Schicksal, das auf das Leben an sich selbst verallmeinert wird, und eindringlichen Bilden statt der platten Parolen von Working on a Dream.
Kingdom of Days ist ein ziemlich belangloses Liebeslied, das versucht mit großen Worten daherzukommen, aber daran scheitert. Das wär soweit okay, aber musikalisch kommt es derart getragen daher, dass man starken Kaffee braucht, um das Lied zu überstehen. Ein - kurz gesagt - vollkommen überflüssiges Lied.
Surprise, Surprise: über den Text ist schon viel geschrieben worden, aber man kann nicht über das Lied hinweggehen, ohne diesen Text zu erwähnen. Während Queen of the Supermarket einen satirischen Unterton pflegt (auch wenn den viele nicht zu bemerken scheinen
), fehlt dieser Surprise, Surprise leider völlig, um solche vollkommen verblödeten Trivialitäten wie "Wenn Morgen die Sonne aufgeht, ist das der Beginn eines brandneuen Tages" zu entschuldigen.
Musikalisch kommt es etwas schmazig daher, hat aber - vor allem gegen Ende - auch ein paar gute Momente.
The Last Carnival: das erste von zwei Highlights am Schluss. Das an Danny Federici gerichtete Lied kommt mit großartigen Bildern daher und greift am Ende geschickt eine seit der Reunion Tour und Land of Hope and Dreams gepflegten Metapher wieder auf, wenn es am Ende heißt: "We'll be riding the train without you tonight". Überhaupt ist dieses in dem Lied erzeugte Gefühl, das "jemand fehlt" überwältigend.
The Wrestler: zweifelsfrei nicht nur ein, sondern DAS Highlight des Albums. Und wieder: Springsteen Stärke sind nicht die platten Parolen von Working on a Dream, sondern wenn er Lieder über trotziges Aufbegehren gegen unabwendbare Schicksale schreibt. Genau das ist The Wrestler, am deutlichsten wohl in dem Bild von dem Einbeinigen, der seinem Schicksal trotzt, indem er sich "seinen Weg freitanzt", keine Prothesen oder ein Rollstuhl, mit dem er seinem Schicksal begegnet, nein, er tanzt.
Aber auch: "My only faith's in the broken bones and bruises I display", ist eine Textzeile, die wirklich nur Springsteen schreiben kann. Insgesamt ein Lied, das zeigt, dass Metaphern durchaus einfach sein dürfen, aber eindringlich sein müssen.
Fazit:Das Album wirkt unstrukturiert und - ähnlich wie Devils & Dust, nur auf gänzlich anderer Weise - wie eine Zusammenstellung von Outtakes verschiedener Projekte. Eine klare Linie, gar eine klare Aussage wie zB bei Magic ist nicht zu erkennen. Die Texte sind mal augenzwinkernd (Outlaw Pete, Queen of the Supermarket), mal furchtbar pathetisch (Working on a Dream), mal kitschig und schmalzig überfüllt mit Platitüden und Trivialem (Surprise, Surprise), dann wieder emotional und tiefsinnig (The Last Carnival/The Wrestler).
Vieles wirkt wie postmoderne Versatzstücke, man hört Kiss heraus, CCR, Byrds heraus, mancher Titel erinnert an die Beatles und irgendwie ist alles ein großes Durcheinander ohne klare Linie. Bedenkt man, dass das Album als "optimischtes Nachfolgewerk zu Magic" im Zusammenhang mit Obamas Wahl gesehen wird, so halte ich es dann doch für etwas bedenklich, dass Springsteen offenbar der klare Blick auf das fehlt, was der politische Wechsel bedeutet. Das muss sich bis zum nächsten Album dringend ändern!