Sowohl der Film,als auch Kotteletes Kritik haben es verdient
Was lange währt, wird endlich gut
Ich bin’s Geronimo schuldig, einem seiner Filmfavoriten dieses jungen Jahrtausends ausführlich Tribut zu zollen. Es sei:
The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford
Drehbuch & Regie: Andrew Dominik – erst seine zweite Regiearbeit. 2000 machte er mit dem biografischen Krimi-Drama Chopper mit Eric Bana in der Titelrolle des notorischen australischen Kriminellen Mark Brandon „Chopper“ Read auf sich aufmerksam.
Geronimo hat The Assassination … das Attribut Meisterwerk verpasst. Ich bin zwar ähnlich selbstbewusst wie er, was die qualitative Einordnung von Spielfilmen jenseits von Geschmacksfragen angeht, neige aber zu der Ansicht, ein Film könne derart erst nach einer Phase des Sackens eingeordnet werden, im Idealfall gar erst, nachdem es diverse weitere Genrebeiträge gegeben hat – was im Westerngenre eine Weile dauern kann. Dennoch: Ich halte es für sehr gut denkbar, dass Geronimos Einschätzung auch in zehn Jahren Bestand hat, zumal er nicht der einzige ist, der The Assassination … so überschwänglich beurteilt.
Die Blütezeit des Westerns endete irgendwann in den 70er-Jahren, wenn nicht früher. Vielleicht markiert gar Sergio Leones Once Upon a Time in the West (Spiel mir das Lied vom Tod) von 1968 einen Endpunkt der Westernära, auch wenn es danach noch qualitativ gute Nachzügler gegeben haben mag. Es schien, als sei alles erzählt worden, was das Genre hergibt. Hollywood rückte nur noch selten Geld für neue Western raus. Trotzdem oder gerade deswegen waren die wenigen Produktionen ab den 80er-Jahren oft gar nicht so schlecht. Silverado (1985) war gut besetzt und unterhaltsam. Dances With Wolves (1990) ist kein persönlicher Favorit, steht aber wie ein Monument in der Filmgeschichte. 2003 legte Kevin Costner mit Open Range sogar gelungen nach. Clint Eastwoods Unforgiven ist ohnehin über Zweifel erhaben. Auch Ed Harris’ noch frische Regiearbeit Appaloosa (2008) mit Viggo Mortensen hat mir ausgesprochen gut gefallen, auch wenn er dem Genre keine neuen Impulse gegeben hat. Jim Jarmuschs Dead Man (1995) ist mir allerdings zu eigenwillig, um ihn mir nichts Dir nichts ins Westerngenre einzureihen. Über Banalitäten vom Schlag The Quick And The Dead (Schneller als der Tod, 1995) decke ich den Mantel des Schweigens. Neo-Western wie All The Pretty Horses (2000) und Brokeback Mountain (2005) will ich an dieser Stelle ebenfalls außer Acht lassen.
Das also ist meine Einschätzung des Westerngenres seit den 80er-Jahren; nicht ganz tot, hin und wieder zuckt’s etwas, und ganz selten gibt’s mal einen Quantensprung – so wie mit The Assassination … Ein großer Film, der sich Zeit nimmt, wie sie sich das von Bombast-Produzent Jerry Bruckheimer geprägte heutige Hollywood kaum noch nimmt. Ruhige Sequenzen, viel Zeit für die Ausarbeitung der Figuren, sorgfältige Dialoge, geschickte Wechsel zwischen Totalen und Nahaufnahmen, eine visuelle Kraft, die im Kino und auf anständiger technischer Heimausstattung wunderbar zur Geltung kommt. Wer nur Bruckheimer & Co. konsumiert, wird sich womöglich langweilen. Die Geschichte selbst ließe sich weitaus kürzer erzählen als in den zwei Stunden und 40 Minuten, die The Assassination … lang ist. Nachhall und Nachhaltigkeit jedoch benötigen genau dieses Erzähltempo.
Die Geschichte vom Tod des Outlaws Jesse James (Brad Pitt) durch die Hand eines seiner Bandenmitglieder könnte als Doku-Drama durchgehen, so sehr berücksichtigt Regisseur Andrew Dominik selbst kleine Details der wahren Geschichte. Der Film ist jedoch viel zu sehr als Spielfilm erkennbar, um ihm das Attribut Doku-Drama zu verpassen. Meiner Ansicht nach will er weniger die Geschichte von Jesse James’ Tod erzählen als die Geschichte, wie ein solcher Mythos entstehen kann – an dem Robert Ford (Casey Affleck) letztlich zerbricht. Schon der Filmtitel deutet dies an, denn eine assassination bzw. ein Mord im juristischen Sinne war die Erschießung James’ wohl nicht, da staatlich sanktioniert.
Die Szene der Ermordung Jesse James’ ist bis ins Detail dem Bericht des echten Robert Ford nachempfunden: James hat Ford und dessen Bruder (klasse: Sam Rockwell) in seinem Haus aufgenommen, wo er mit Frau und Kindern lebt. Eines Tages kehrt er zum Essen heim, bei sich eine Tageszeitung. Auf Seite 1 findet sich ein Bericht über ein Mitglied der Jamesbande, das sich drei Wochen zuvor gestellt hat – ein Kumpan Robert Fords. Ford ahnt, dass James seinen geplanten Verrat durchschaut, doch James gibt sich vertrauensvoll. Er nimmt gar seinen Revolvergurt ab und beginnt, ein an der Wand hängendes Bild vom Staub zu befreien. Zu viel Vertrauen: Robert Ford nutzt die vielleicht einzige Gelegenheit und schießt Jesse James eine Kugel in den Kopf.
All dies ist haarklein dem Bericht Robert Fords von 1882 entnommen – der natürlich nicht zwangsläufig der Wahrheit entsprechen muss. Ford interpretierte James’ vertrauensvolles Verhalten übrigens nach eigenen Angaben so, dass James Ford offenbar in Sicherheit wiegen wollte, weil er ihn nicht vor den Augen seiner Familie töten wollte, sondern erst abends an anderem Orte. Brad Pitt fügt dieser Theorie nach meinem Empfinden in seiner Darstellung weitere Facetten hinzu: Für mich ist sein Verhalten ein Mix aus Vertrauen, Unglauben, Müdigkeit, Resignation und vielleicht auch In-Sicherheit-Wiegen.
Gegen Ende des Films – nach James’ Tod – kommt es in einer Bar zu einer kurzen Konfrontation zwischen Robert Ford und einem Bänkelsänger. Dieser wird von keinem Geringeren als Nick Cave verkörpert. Er singt die Ballade Jesse James, die wir auch schon aus dem Mund eines uns wohlbekannten Rocksängers gehört haben. Nick Cave zeichnet auch für die Originalmusik des Films verantwortlich.
Überhaupt Musik: Es ist schön, wenn ein Filmemacher den Soundtrack – sei es Score oder seien es Songs – gezielt einsetzt und ihn nicht inflationär jeder Szene überstülpt. Ein Film wie The Assassination … braucht zwingend ruhige Szenen ohne musikalische Untermalung, damit der Zuschauer sich ganz auf Gesichter und Dialoge konzentrieren kann. Auch Spannungskurven können ohne Musik erzeugt werden, wenn man sein Handwerk versteht. Geschickte Konstruktion einer Szene und virtuose Kameraführung reichen oft aus – dafür bietet dieser Film etliche perfekte Beispiele.
Der Film endet mit der Ermordung Robert Fords zehn Jahre später durch einen selbsternannten Rächer namens O’Kelly. Während es auf diese Sequenz hinauslief, fragte ich mich, was ich besser finden würde: wenn der Tod Fords gezeigt wird oder wenn eine Texttafel Robert Ford wurde am … (o. ä.) den Film beendet. Auch da macht Regisseur Dominik alles richtig, indem er einen Mittelweg wählt: Der Rächer richtet seine Flinte auf Ford, der dreht sich um – und der Abspann beginnt.
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Es kann nicht sein,was nicht sein darf
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