tom waits - big in japanvon Uli Lemke (Jazzthing)"Da ist jemand wie eine große schwarze Katze. Das Ding will etwas von dir. Du mußt es zähmen, du mußt es beherrschen, sonst macht es dich fertig."
So ungefähr steht es auf dem Cookie, das Tom Waits vom Kellner bekommen hat, nachdem wir Huhn mit Gemüse und anderen Köstlichkeiten entsorgt haben. Grinsend reicht er mir das rüber und sagt zum Abschluß unseres Gesprächs: "Übrigens, ich lüge gerne." Na klar, das gehört zum Geschäft. Fangen wir also von vorne an mit den Erfindungen des Tom Waits.
Ein reichlich unbeholfen wirkender Typ mit blödem Hütchen und schniekem Hobo-Outfit schlittert uns entgegen. Parkinson, Alzheimer, Suff, letzte Nacht im Park herumgehangen. Sogar Autismus könnte Tom Waits glaubhaft verkörpern. Die Jeans mit Löchern, der Pulli mit V-Ausschnitt läßt ein paar Brusthaare heraus. Perfektes Styling für einen Penner, der keiner ist. Vor ein paar Jahren hat Waits einen Millionen-Prozeß gegen eine Firma gewonnen, die mit seinem Image Reklame machte. Er ist das Image, er verdient Geld damit. Die chinesischen Junk-Food-Laden etwas außerhalb vom Zentrum Santa Rosas an einer lärmigen Ausfallstraße hat Waits sich für die paar Journalisten aus Europa, die ihn eine Woche lang behelligen dürfen, drei pro Tag, selber ausgesucht. Dahinter eine stillgelegte Eisenbahn, genau richtig für die Fotos zum Klischee. "Hi, ich bin Tom. How are you? Hast du schon gegessen? Ich hab´mir gerade was bestellt. Schmeckt gut hier. Ordern wir mal einen zweiten Teller. Ist ein tolles Lokal!" Wirkt fraternisierend, trotz dieser Stimme, die gefährlich heiser klingt.
Diese Stimme. Tom Waits hat seine Gesangskunst im Laufe seiner Karriere immer extremer entfaltet. In den Achtzigern entdeckte er das Megaphon als zusätzliche Krächzhilfe und begann antiquierte Maschinerie aus den Asservaten der ersten amerikanischen Avantgardisten zu nutzen, um seine Bandbreite zu verfeinern. Tom Waits kann von alten Chain-Gang-Songs und Howlin´Wolf über Satchmo bis hin zu Disneys Zwergen und Stephen Kings Zombies, bemitleidenswerten Kastraten, blasierten Hörspielmoderatoren und lasziven Croonern so ziemlich alle Register singen, brüllen, seufzen und flüstern, die den menschlichen Gefühlen entsprechen. Himmel und Hölle wohnen in dem Repertoire dieses Musikers dicht beieinander, und seine Texte liefern den amerikanischen Underground in Cinemascope für Audiophile: Versager liefern Durchhalteparolen, Kinder drücken sich vorm Erwachsenwerden, Penner überwintern mit zarten Gefühlen, Nutten zimmern sich ihre Träume von einer heilen Familie, und stets läuft Tom Waits als Sprecher seiner Figuren auf, die gottverlassen im Abseits hängen.
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Als Tom Waits Anfang der Siebziger in schmuddeligen Jacketts die Beatnik-Ära unter den kalifornischen Hippies wiederzubeleben versuchte, steckte er eigentlich von vornherein in einer Sackgasse. Während Kollegen wie Frank Zappa oder Captain Beefheart, mit denen er angeblich eine Schule im Kaff Pomona gemeinsam hatte, sich auf eine neue Szene stürzten, um sie zu revolutionieren, wühlte Tom Waits in den Büchern von Jack Kerouac herum, schnüffelte Burroughs und ergoß sich in Hobo-Attitüden am Klavier. Er stand auf graue Eminenzen, wenn auch mit brüchigem Selbstverständnis: Gershwin, Charles Brown, Irving Berlin, Porter, Sinatra. So hangelte er sich mit lasziven Tastenübungen durch ein paar Nachtclubs, lernte dort den Crooner, erlitt damit Schiffbruch im Vorprogramm zu Zappa, dessen Musik er eigentlich mochte, und ärgerte sich darüber, dass seine ersten guten Songs von Kapellen wie den Eagles kopiert wurden. Er hing im Tropicana ab, einem üblen Schuppen, den man im Nachhinein Kreativität bescheinigte, bloß weil sich dort ein paar Legenden des Rock ´n´Roll die Drogen einwarfen. Waits bevorzugte Alkohol. So einfach geht Geschichte. "Ja, genau, stimmt. Shit." So einfach der Kommentar von Tom Waits zu dem Vorgang.
Waits trennte sich von Partnerin Rickie Lee Jones, Sprit und Tabak und stieg später mit Hilfe seiner bis heute geliebten Kathleen Brennan auf andere Sachen ein: Blues von der harten Sorte, Hillbillies aus Kentucky, Hobos from outer space wie Avantgardist Harry Partch, Gospel zum Erbarmen. Er fand zu Kurt Weill und Gamelan-Musik und setzte sich nach seiner famosen Trilogie zu "Franks Wild Years" erstmal ab vom öffentlichen Interesse.
Anfang der Neunziger brachte Waits sein bis heute düsterstes Album heraus. Der Titel "Bone Machine" entsprach der musikalischen Struktur der Lieder, in denen es wie zuvor um Verlierer und Möchtegerne ging, unstete Hobos und Kinder, denen die Welt zurecht ungeheuerlich erscheint. Auf seinen letzten Shows vor zehn Jahren, in seinen spärlichen Videos - insbesondere der prächtigen Inszenierung "Big Time" - und bei Gastspielen anläßlich seiner hierzulande gefeierten Theaterstücke wirkte Waits wie ein Sektenprediger, ein Rattenfänger, der seine Gemeinde ins Nirvana oder in den Müllschlucker reitet: Das Publikum lag dem Kultstar zu Füßen. Inzwischen war er auch Filmschauspieler geworden, reüssierte am Theater, erarbeitete dort mit der Leitfigur Burroughs und dem Kultregisseur Robert Wilson den wildgewordenen und äußerst freundlich in den hiesigen Feuilletons besprochenen Freischütz namens "Black Rider" und schrieb Filmmusik.
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Sein neues Album heißt "Mule Variations".
Ponies und Mules tauchen auf, und sie sind Metaphern der amerikanischen Folklore seit 100 Jahren. "Stell dir vor, du fährst mit deinem Auto irgendwohin. Dann verläßt dich die Orientierung. Du bist mit dir und deiner Karre im Dreck. Einem Pferd, einem Mule könntest du die Hand auflegen. Give your horse his head. Es ist wie ein kleines Radar-Tier. Es riecht den Kaminrauch von weitem. Es bringt dich heim, wenn du nicht mehr weißt, wo du bist. Ponies, Hunde - Tiere sind Metaphern in meinen Songs. Zuverlässige Gefährten. Wegweiser. Freunde." Und dann redet Tom Waits noch von den modernen Perversionen der Tierliebe, schimpft über Hundedressur. "Wenn ein Hobo auf einen herrenlosen Hund trifft, und beide akzeptieren einander, ist das wie das Ideal einer menschlichen Begegnung. Individuen treffen aufeinander, ohne sich gegenseitig beeinflussen zu wollen." Wenn zwei gesellschaftlich erzogene Menschen einander begegnen, scheint es schwieriger zu sein. "Ich schätze mal, das ist das bißchen Gute an den ´Good Old Days´. Die Leute hatten noch miteinander zu tun; man verkehrte mit dem Kutscher, mit dem Schaffner, mit dem Vieh. Heutzutage wirst du observiert: Da glotzt dir deine unmittelbare Nachbarschaft ins Fenster." Dazu bietet Waits auf seinem Album ´Mule Variations´ den passenden Soundtrack "What´s He Building?". Daß er für den Song "Eyeball Kid" sein Geburtsdatum einbaute, ist "just for hell of it. Es geht um Showbiz, um die Vorstellung, dass viele Menschen, die im Showgeschäft stehen, davon geprägt werden. Es macht manche in gewisser Weise zu Freaks oder einfach Sonderlingen. Wir griffen diesen Eindruck auf und verwandelten ihn in dieses fremdartige Geschöpf, das Eyeball Kid. Dessen Manager hätte eine Menge Arbeit, wenn man die Geschichte weiterspinnen würde." Neben diesem furiosen Titel enthält "Mule Variations" mehr als einen schönen Lovesong und ein paar Lieder, die auf den ersten Blick auf unterschiedliche Weise Religion thematisieren: Da gibt es die kindlich naive Ballade vom "Chocolate Jesus", aber auch die Einladung an Jesus, vom Kreuz herabzusteigen, weil man das Holz gut gebrauchen könne - "Come On Up To The House". "Das ist wie ein alter Gospel, aber es geht hier eigentlich wie auch in anderen Songs nicht um Gott, sondern um Menschen die einsam sind. ´Come On Up ´ist eine Einladung an jemanden, der Schutz sucht. ´Mule Variations´ bietet Facetten zum Thema; und ich möchte, dass man die Songs im Kontext hört."
April 1999, Jazzthing