Habe mir eben in meinem Blog dazu Gedanken gemacht.
Ich sitze hier zu den Klängen von “Long Walk Home” und starre auf den Bildschirm. Schon eine ganze Zeit lang. Unfähig den richtigen Anfang zu finden. Am liebsten würde ich vor Freude umherhüpfen wie ein kleines Kind - könnte mich aber ebensogut heulend in irgendeine Ecke setzen - von Sentimentalität und Melancholie völlig überwältigt.
Ich könnte mich jetzt einreihen in die Schar der Konzertberichterstatter - mit Superlativen um mich werfen wie “überwältigend”, “mitreissend”, “unglaublich”, “grossartig” und so weiter.
Ich finde, diese ganzen Vokabeln treffen nicht im Entferntesten diese Emotionen, die ich mit diesem Springsteen Konzert in Hamburg verbinde. Die so viele Tausende Menschen auf der ganzen Welt mit Springsteen verbinden.
Nach der von mir sehr exkzessiv ausgelebten Rising-Tour im Jahre 2003 - diese anderthalb Monate in meinem Leben, die zu den wirklich schönsten in meinem Leben zählen - hatte ich lange Zeit mit Springsteen nichts mehr am Hut.
Vielleicht aus dem Grund, weil man zum ersten Mal im Leben das Gefühl von wirklich LEBEN hatte und dachte, dass man sich dieses Gefühl von nun an immer bei sich trägt. Aber irgendwann verblasst auch die schönste Erinnerung. Oder - nein - sie verblasst nicht - das Alltagsgrau erdrückt einen. Man kann nicht immer auf Tour sein. Diese Erkenntnis tut weh. Ebenfalls die Erkenntnis, dass - wenn man Bruce hört oder ihn live sieht, wirklich lebt. Aber was ist mit der anderen Zeit? Dazwischen?
Nun ja - also nach 5 Jahren das erste Mal wieder Bruce mit der E Street Band in meiner geliebten Stadt und in meinem “Wohnzimmer”, dem Volksparkstadion.
Und es war grossartig, phantastisch, phänomenal und schier unglaublich. Fast, als wären nicht 5 Jahre vergangen - sondern nur 5 Stunden.
Wie schafft dieser Mann das? Wie schafft er das, diese Spannung knapp 3 Stunden lang zu halten? Wie schafft er das, dass er immer noch diesen spitzbübigen Charme ausstrahlt, den er schon vor 30 Jahren hatte? Wie schafft er das, dass er Songs, die er schon hunderte - wenn nicht tausendemale gespielt hat, immer noch so zu performen, dass man das Gefühl hat, er spielt diesen Song nur für diesen einen Abend ganz besonders?
Und diese Band! Ich war ja schon immer sehr Max Weinberg-affin. Er ist vielleicht kein Charlie Watts, kein Keith Moon, kein Buddy Rich. Das muss er auch nicht. Denn er ist Max Weinberg - der Big Beat von Springsteen. Ich war um ein weiteres Mal begeistert wie diese unausgesprochene Verbindung zwischen Bruce und Max nach wie vor funktioniert. Und das macht ihn dann doch ziemlich gross.
Was aber auch für den Rest der Band gilt - dieses Zusammenspiel ist grossartig. Diese Fähigkeit, zu improvisieren. Und nicht nur einen Song - NEIN - da werden Zuschauerwünsche (”Requests”) eingesammelt und jeder der E Street Band ist in der Lage, ihn aus dem Stehgreif zu spielen. Und nicht verkrampft, nicht geleiert - nein - jeder Song wird bei der E Street Band zum Unikat bei dem jeweiligen Konzert.
Jeder von ihnen ist ein grossartiger Musiker. Zusammen sind sie jedoch eine Weltmacht.
Und so spielten sie alle am Samstag sich die Seele aus dem Leib und performten Songs wie “Incident on 57th street”, “Something in the Night”, “Spirit in the Night” und “Rosalita” als wäre es das erste Mal. Als wäre seit damals kein einziger Tag vergangen.
Es war wirklich “Magic” - dieses “Magic”-Konzert in Hamburg am Samstag. Selbst wenn der Titelsong der Tour nicht gespielt wurde. Was aber auch keinen wirklich störte.
Gestern las ich den Spiegel online Artikel über das Konzert (
http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,15 ... 41,00.html ) und mir ging der Hut hoch. Da beschreibt sich der Schreiberling über das Fehlen persönlicher Ansprachen - über das Fehlen der “grossen Reden” der 70er. Warum? Hätte eine persönliche Ansprache, eine Geschichte, die die eingefleischten Fans ohnehin schon kennen, das Konzert jetzt besser gemacht? Ist das Weglassen von Songs wie “Magic” zu Gunsten von den wirklichen Perlen des Springsteen’schen Songwritings wie Incident on 57th Street nicht Ansprache genug? Bruce soll nicht sabbeln, er berührt mich mit meinen Songs schon genug.
Ebenso - und das ist etwas, was mich wirklich SAUER macht - beschwert sich der Spiegel-Redakteur (und da fragt man sich, warum das Niveau vom Spiegel immer weiter abnimmt? Ein solcher “Journalist” ist mir da Antwort genug) - dass da ja noch nicht mal einige warme Worte zum Tod von Danny Federici gesprochen wurden.
Da frage ich mich, ob dieser Möchtegern-Bruce-Fan, der ja angeblich die ruhmreichen 80er Springsteen-Zeiten ja miterlebt hat, denen er so hinterhertrauert - sich jemals wirklich mit der E Street Band beschäftigt hat. Hat er jemals den “Spirit in the Night” gespürt?
Mir hat es nicht gefehlt. Mich hätte es eher irritiert, wenn Bruce über Danny gesprochen hätte.
Danny war mit das einzige E Street Band Mitglied, was wirklich von ganz am Anfang mit dabei war. Selbst bei Springsteens ersten Band “Steel Mill”. Sie trafen sich 1967 (!) das erste Mal. Das sind VIERZIG JAHRE gemeinsamer Weg. Bruce hat eine grossartige Grabrede gehalten - muss er denn nun jedes Konzert warme Worte über Danny sprechen, nur damit er grosse emotionale Augenblicke für irgendwelche Vollhonks auf Kosten seiner eigenen Empfindungen erschafft?
So eine Berichterstattung finde ich einfach erbärmlich. Es gibt Dinge im Leben eines Menschen - wie Trauer, das man jedem lassen sollte.
Aber am Samstag hatte ich auch dieses Gefühl der Vergänglichkeit. Mir hat auch Danny gefehlt. Ich erinnere mich gerne an das Intermezzo 2003 im Park Hyatt, als ich die Möglichkeit hatte, kurz mit Danny zu plaudern. Ja, wir hatten wirklich herzhaft gelacht. Und so wird er mir sicherlich wehmütig in Erinnerung bleiben. Dieser tolle Orgel- und Harmonikaspieler. Ein Ur-E Street Band-Mitglied weniger.
Schmerzlich wurde mir bewusst, dass ich 2003 in Mailand das letzte Mal die Band in der eigentlichen Formation gesehen habe.
Clarence “Big Man” Clemmons quält sich nur noch. Wie man sagt, schafft er nicht mal mehr zu Fuss alleine den Weg Backstage zur Bühne, er wird mit einem Golfcar dorthin gefahren. Und viele Stimmen wurden laut am Samstag “Bruce lass den armen Mann zu Hause - er quält sich doch nur noch. Lass ihn würdevoll ziehen.”.
Keiner denkt irgendwie drüber nach, dass es vielleicht genau das ist, was Clarence wirklich nochmal mitnehmen möchte. Dass er nochmal alles an Leben mitnimmt, bevor er nicht mal mehr aufstehen kann. Bruce ist sein bester Freund.
Was ist schöner? Schmerzen zu haben, zu Hause zu sitzen und einfach nur noch zu warten oder die Zeit, die einem noch bleibt, mit dem auszufüllen, die das wichtigste im Leben waren? Die Musik, die Shows, die Freunde?
Das Saxophon-Spielen klappt doch erstaunlich gut noch - sogar besser als noch vor 5 Jahren, was mich wirklich überraschte.
Sollte es noch einmal eine E Street Band Tour geben, wird es aber definitiv nicht mehr die E Street Band sein. Alter, andere Verpflichtungen und Verträge (Max Weinberg z.B. mit seinen Late Night Geschichten) werden es immer mehr “ausdünnen”.
Irgendwann wird die E Street Band auch nur noch eine Erinnerung sein - und Bruce wird alleine mit 80 immer noch rüstig durch die Hallen touren und von den alten Zeiten berichten, in persönlichen Ansprachen - und wir werden da selbst als alte Leute sitzen und uns die Tränen von den Wangen wischen. Nicht aus Kummer oder Trauer. Sondern weil wir gesegnet waren, eine solche Band mit dem grossartigsten Songwriter, Rocker und Menschen live erlebt zu haben.
Ich bin dankbar über jede neue Note, die wir bis dahin von Springsteen und seinen Weggefährten hören.
Und ich bin wieder zu Hause. It’s gonna be a long walk home.