Ich glaube, das passt recht gut hierher:
Boston, TD Banknorth Garden, 19. November 2007
Wo soll ich anfangen? Als ich nach dem Seightseeing Programm heute wieder im Hotel war, entschloss ich mich dazu, noch ne Runde mein kuscheliges Bett zu nutzen und zu schlafen. Grundsätzlich ne gute Idee, aber heute hätte ich es fast nicht mehr geschafft, meinen Hintern aus dem Bett und zur Halle zu bringen. Es ist doch immer sehr zeitintensiv und schlafraubend, nach den Shows noch ne Weile vor dem Laptop zu sitzen, und seine Erlebnisse aufzuschreiben. Mensch war das kuschelig auf dem Bett heute Nachmittag...
Okay, ich hab mich dann doch gegen 18 Uhr aufgerafft und auf den Weg zum Banknorth Garden gemacht. Zum Glück ne gute viertel Stunde frische Luft bis zu U-Bahn, da war ich dann wieder so richtig wach. Im Gegensatz zu den bisherigen Tagen war es heute nur windig und kalt und lange nicht mehr so sonnig wie die ersten Tage hier.
Am Banknorth Gaden angekommen einige meiner Freunde getroffen. Ne Weile geplaudert und dann machten wir uns mehr oder weniger getrennt voneinander jeder auf den Weg zu seinem Sitzplatz.
Ach ja, heute morgen hätte ich es doch fast noch geschafft, ein Innenraumticket bei btx zu ergattern. Aber leider nur fast. Und ich war mir so sicher, ich war der erste mit der Nachricht an den Verkäufer!
Somit also wieder Balcony heute Abend. Allerdings um einiges näher dran als gestern. Direkt hinter der Bühne. Oder, man könnte auch sagen, ÜBER der Bühne
Ein guter Überblick heute also auf das Geschehen des Abends. Hinter mir einige leere Plätze, vor mir zwei typische männliche Amerikaner, einer muskelbepackt und der andere „etwas“ übergewichtig, die ganze Zeit am Bier holen oder Bier wieder wegtragen und am Quatschen. Immer an den ruhigen Stellen während den Songs. Laber laber laber... Schrecklich! Am liebsten hätte ich ihnen mal in den Hintern getreten und gesagt, sie sollen doch bitte die Klappe halten. Aber rein von der Masse her fühlte ich mich doch etwas unterlegen und hab’s daher bleiben lassen
Pünktlich um, keine Ahnung wann das war, ging das Licht aus. Ich kann auch nicht sagen, wie lange die Show heute Abend ging, aber gefühlt waren es drei Stunden, mindestens! Realistisch betrachtet waren es wohl so ca. 2 Stunden 20 Minuten.
Irgendwie rechnete jeder mit nem anderen Opener als gestern. Aber nix da. Standardbeginn mit „Radio Nowhere“. Erwartungsgemäß folgte im Anschluß „Night“ und „Lonesome Day“. Schade, die Hoffnung auf einen anderen Song an dieser Stelle war recht schnell dahin. Man könnte ja beispielsweise „Streets of Fire“ hier mal einbauen...
„Lonesome Day“ bringt zwar meistens gute Stimmung in die Halle, ist aber doch zwischenzeitlich recht abgenudelt bei den Shows. Auch „Night“ zeigt langsam aber sicher die ein oder andere Abnutzungserscheinung, auch wenn Clarence fehlerfrei in sein Saxophon pustete (was er übrigens den ganzen Abend über machte, fehlerfrei Saxophon spielen). Und bevor jetzt wieder die Beschwerden kommen, dass immer nur bei Clarence fehlerfreies Spielen erwähnt wird, möchte ich jetzt nicht vergessen, das fehlerfreie Musizieren aller E Street Band Mitglieder am heutigen Abend zu erwähnen.
Zumindest fällt mir jetzt im Moment nicht (mehr) ein, dass heute Abend jemand nen kapitalen Fehler gemacht hat.
Okay, weiter mit der Show. Auf „It’s alright, it’s alright, it’s alright – YEAH“ und immer schön die Arme in die Höhe, folgte „Gypsy Biker“. Und – Mann oh Mann – was für Soloeinlagen an der Gitarre. Das fetzte und rockte ganz schön. Ich meine, noch einen Tick intensiver als zuletzt. Hinten raus war das Gitarrenspiel viel länger und intensiver als sonst. Hat mir gut gefallen.
Bei „Magic“ – ich liebe diesen Titel
– setzten sich natürlich alle hin. Da sieht man dann immer wieder ziemlich gut, wo ich meinen Platz habe, denn bei „Magic“ bin ich der einzige in meinem Block, der sich nicht hinsetzt. Intensiv den Rufen „sit down“ trotzend wird der Song im Stehen genossen. Die Sitzplatzkonzerte waren 2005...
Gut, meistens stehe nicht nur ich in meinem Block. Nach relativ kurzer Zeit stehen dann hinter mir doch wieder einige auf, zumindest, wenn sie was sehen wollen. Wobei sich viele auch im Stehen recht schwer tun, hinter mir... und wenn dann Richy noch neben mir steht, haben die hinten dran meistens gar nix mehr zu lachen... wobei wir natürlich mit abwechslungsreichen T-Shirt-Rückseiten für ausreichend Lesestoff inklusive Bildern während der Show sorgen
Aber ich schweife ab, wie ich gerade merke. Sorry. Zurück zur Show.
„Magic“ also im Stehen überlebt und sehr genossen, keiner wollte mich mit Gewalt zum Sitzen bringen. Zum Glück folgte im Anschluß gleich ein Song, wo fast alle wieder aufstehen. „Reason to Believe“. Bruce hatte heute sichtlichen Spaß beim Intro. Bemerkbar machte sich dies, weil er gar nicht mehr aufhören wollte, mit seiner Mundharmonika in das Bullet-Mikro hinein zu spielen. Sorry, aber 2005 hatte ich schon immer den Gedanken, das sieht aus wie ein elektrischer Philips-Rasierer, daher wird es für mich immer der Rasierer bleiben, wenn er dieses Mikro zur Hand nimmt.
Kam echt gut, das verlängerte Intro. Nicht so toll fand ich wie schon am Vorabend die Art und Weise, wie Bruce „Reason to Believe“ sang. Wieder so abgehackt beim Text. Nein, die Version vom Beginn der Tour gefällt mir besser.
Im Anschluß, sofort am Anzählen erkannt. One.... Two.... Three…. Four…. (mit diesen gewichtigen Pausen) “Darkness on the Edge of Town”. Wow. Live einer meiner Favoriten. Auch auf die Gefahr hin, das Wort „intensiv“ etwas oft zu verwenden... aber „Darkness on the Edge of Town“ war sehr intensiv interpretiert heute Abend. Hat mir auch sehr gut gefallen. Weiter ging es mit Songs aus den 1970er Jahren. Nach „Night“ und „Darkness on the Edge of Town“ nunmehr „Candy’s Room“. Sorgt immer für sehr gute Stimmung in der Halle. Sehr E-Gitarren-lastig. Und immer wieder gerne gehört. Nach „Candy’s Room“ konnte ich es von Brucies Lippen ablesen, als er auf Max zu ging (hatte ich schon erwähnt, ne klasse Übersicht zu haben von meinem Platz ÜBER der Bühne?), „She’s the One“. Dazu fällt mir jetzt nix mehr ein, was ich nicht eh schon geschrieben habe bei den Berichten über die bisherigen Shows. Die Halle stand Kopf. Doch, eben fällt mir noch ein, wie Bruce seine Gitarre wieder im hohen Bogen nach hinten zu Kevin warf. Heute aber ohne mehr oder minder große Lebensgefahr für Garry und auch Kevin hatte keine Probleme, die Gitarre aufzufangen.
„Livin’ in the Future“ bremste die Show etwas, aber nur etwas, aus. Aber es war auch mal wieder Zeit, für einen neuen Song am heutigen Abend.
Dann passierte etwas ungewöhnliches. Bruce ließ sich von Kevin Buell den Mundharmonikahalter umlegen (da gibt es sicherlich auch nen Fachbegriff für, aber ich nenne es jetzt einfach mal so) und spazierte mit der Gitarre um den Hals zum Mikrophon. Nanu? Was wird denn das jetzt? In der Erwartung etwas Neues (ne Tourpremiere?) zu hören, lauschte ich aufmerksam. Und was erklang? Die ersten Töne von „The Promised Land“. Irgendwie, oder? Oder doch nicht? Was wird denn das jetzt? Sehr ungewöhnlich. Als Bruce das Singen endlich anfängt, ist klar, nein, es ist nicht „The Promised Land“, sondern „This Hard Land“. Ein etwas holpriger Start in den Song, aber trotzdem eine willkommene Abwechslung an dieser Stelle. Und ich glaube, die erste Show ohne “The Promised Land” auf dieser Tour.
Ohhhhh, und jetzt begann es so richtig, weit weit zurück in die dunkle Vergangenheit der E Street Band. Ohhhhh. Danny kam nach vorne, sein Akkordeon auf dem Bauch und Bruce meinte, es folge nun ein sehr alter Song aus 197.... und ging damit mit dieser Frage zu Danny....1973....
Ein full band „4th of July, Asbury Park” – ein full band “Sandy”. Wie gerne hätte ich das am Boardwalk in Asbury Park gehört, Ende September, aber wie dankbar war ich, dass ich “Sandy” überhaupt mal wieder full band hören durfte. Wunderschön, einfach nur wunderschön! Und meine Gedanken schweiften zurück zu den sonnigen Tagen in Asbury Park, zu Madam Marie, zum Strand, zum Boardwalk, zum „heiligen Boden“.... Selbstverständlich hoffte ich nun, in Erinnerung an die Setliste von Albany, auf einen weiteren Song von „The Wild, the Innocent & the E Street Shuffle“
Und die Hoffnung wurde erfüllt: „The E Street Shuffle“!!! Seit 2000 warte ich auf diesen Song bei ner Bruce-Show. Damals bin ich nach der drittletzten Show im Madison Square Garden zurück nach Deutschland zum 80. Geburtstag meines Großvaters. Das war damals sehr wichtig und ich bin auch gerne zurück geflogen. Aber heute bekam ich nun endlich mein „E Street Shuffle“. Danke, Bruce! Danke E Street Band, Danke Danny!
Nach dem nun schon sechsten Song aus den 1970er Jahren ging es weiter mit „Working on the Highway“. Das heizte die Stimmung weiter an. Gefiel mir noch besser als am Vorabend.
Bei „Devil’s Arcade“ setzten sich natürlich wieder alle hin. Nur ich, ich blieb stehen und konnte beobachten, wie Max im gleissenden Scheinwerferlicht wiederum einen sehr guten Job am Schlagzeug machte. Huh, mir läuft’s jetzt schon wieder kalt den Rücken runter beim Gedanken an den Song. Ich finde ihn live einfach klasse.
Zum Glück stand Boston bei „The Rising“ recht schnell wieder auf, und niemand fühlte sich mehr durch mein Stehen gestört. Da hab ich echt schon die tollsten Dinge erlebt, vor allem 2006 in Holmdel bei den Seeger Sessions Shows dort.
Obwohl „The Rising“ ähnlich wie „Lonesome Day“ live auch etwas abgenudelt ist, hat es richtig Spaß gemacht, den Song zu hören.
Mit „Last to Die“ ein weiterer Höhepunkt des Abends. Irgendwo hab ich gelesen, der Song behauptet sich sehr gut an dieser Stelle, und das ist richtig. Der passt da hin und rockt richtig gut.
Bei „Long Walk Home“ hatten meine beiden typischen Amerikaner vor mir nichts besseres zu tun, als wieder ne Runde zu Quatschen. Aber trotzdem gelang es mir, so richtig in den Song abzutauchen und jede Zeile, jede Note zu genießen. Man findet sich doch auch in einigen Zeilen selbst wieder: „Last night I stood at your doorstep, trying to figure out what went wrong” oder fühlt sich in die Vergangenheit zu „My Hometown“ zurückversetzt: „In the distance I could see the town where I was born (...) Here everybody has a neighbour, everybody has a friend, everybody has a reason to begin again (…)”Unweigerlich auch damit verbunden, sich selbst über seine Heimat und seine Heimatstadt Gedanken zu machen....
„My father said "Son, we're lucky in this town, it's a beautiful place to be born, it just wraps its arms around you, nobody crowds you, nobody goes it alone.”
“Badlands” beendete das Hauptset des Abends. Und das hatte es wirklich in sich. Und wie konnte man denn ahnen, was jetzt noch folgen sollte?
Okay, „Girls in their Summer Clothes“ als erste Zugabe, das war wiederum zu erwarten. Good singing Boston. Ich hoffe sehr, das klappt in Europa auch so schön, und wenn es nur ist, Bruce eine Freude zu bereiten. Das breite Grinsen in seinem Gesicht ist doch immer wieder nett anzuschauen, wenn die Fans bei dem Song lauthals mitsingen.
Kaum war „Girls in their Summer Clothes“ zu Ende, erklangen die ersten Töne der nächsten Zugabe. Nein, oder? Doch! “Tenth Avenue freeze-out”. Die zweite Tourpremiere des heutigen Abends. Ich hatte an dieser Stelle mit vielem gerechnet, aber nicht mit „Tenth Avenue freeze-out“. Peter Wolf hüpfte auf die Bühne, was auch immer er da wollte, das hätte er auch sein lassen können mit seiner Flasche in der Hand, denn er fiel nicht weiter ins Gewicht während dem Song. Bruce heizte die Stimmung mit einem ähnlich langen Intro an wie auf der Reunion Tour. Ich wartete nur darauf, dass er auf Roy’s Piano springt, aber er begnügte sich damit, von einem Ende zum anderen Ende der Bühne zu laufen.
Jetzt stand Boston endgültig Kopf. War das Mitsingen bei „Girls in their Summer Clothes“ schon recht laut, aber doch noch zurückhaltend, gab es jetzt kein Halten mehr. Ich glaube, es hätte auch gereicht, wenn die E Street Band den Sound geliefert hätte. Den Rest hätten wir alleine locker geschafft
Der Applaus und der Lärm war derart ohrenbetäubend, dass es recht lange dauerte, bis man die nächste Zugabe erkennen konnte. The cat ist back: „Kitty’s back“! Oh Wow! Für mich zuletzt mit der E Street Band in der final show im Giants Stadium 2003 und nochmals bei den Holiday Shows im Dezember des Jahres. Jetzt endlich wieder. Also ich weiss nicht, aber irgendwie befanden wir uns während der Show ein ziemliches Stück weit zurück in den 1970er Jahren.... ne Show von der Darkness-Tour ... 10 Songs, die es damals schon zu hören gab, und das an einem Abend! Drei davon von „The Wild, the Innocent & the E Street Shuffle“. BACK TO THE ROOTS!
Während “Kitty’s back” sehr schöne, lange und intensive Soli von Danny, Roy und Clarence. Und Bruce an seiner Gitarre. Besonders fiel das sehr sehr lange Solo von Danny auf. Wunderschön, das ging echt unter die Haut. Auch wie schon davor während der Show hatte Danny heute auffallend oft Zeit und Gelegenheit, Präsenz auf der Bühne zu zeigen.
Von „Kitty’s back“ direkter Übergang zu „Born to Run“. Die Halle hell erleuchtet, jetzt hielt es auch den letzten nicht mehr auf seinem Platz.
Irgendwie hoffte ich noch auf „Dirty Water“ aber es sollte nicht sein heute Abend. Ich muss wohl nochmals nach Boston kommen, um diesen Song zu hören. Denn direkt nach „Born to Run“ der (bis jetzt) übliche Show-Closer der „Magic“-Tour: „American Land“.
Mit einem lauthals geschmetterten E STREET BAND ging ein richtig toller Abend in Boston zu Ende. Und somit auch die letzte Show der US-Tour in diesem Jahr.
Sehr sehr lange anhaltender Applaus für Bruce und die E Street Band. Und nachdem Danny heute wirklich oft auf den Bildschirmen zu sehen war, schob ihn Bruce zum Ende der Show nach vorne ins Rampenlicht. Danny verneigte sich und winkte zu den Fans. Alle E Streeter schlugen ihm mehrfach auf die Schultern, drückten und umarmten ihn und verabschiedeten sich gemeinsam von der Bühne. Schon während der Show beobachtete ich, wie gerade Nils sehr lange Zeit neben Danny stand und von dort aus seine Gitarre spielte.
Ich habe mich inzwischen dazu entschlossen, nichts zu den Gerüchten oder was auch immer beizutragen und aufzuschreiben. Sondern nur zu erzählen, was ich gestern beobachtet und selbst erlebt habe. Nur noch so viel an dieser Stelle: In Albany war Seeger Sessions Band Mitglied Charles Giordano vor der Show längere Zeit an den Keyboards zu sehen.
Das war sie nun, meine letzte Show in 2007 hier in den USA. Nach den Erlebnissen in New York City war ich mir gar nicht mehr sicher, ob ich nochmals rüberfliegen soll dieses Jahr. Bin aber nun sehr froh, hier in Boston bei den beiden Shows gewesen zu sein. Insgesamt waren es gute vier Wochen in den USA, im September einige Tage, im Oktober recht viele Tage und im November wiederum einige Tage. Von den Rehearsal Shows in Asbury Park und East Rutherford, über Philadelphia nach East Rutherford, in den Norden nach Kanada: Ottawa und Toronto, zurück über die sehr beeindruckenden Niagara Fälle nach New York City und nun hier in Boston. Eine größtenteils sehr schöne Zeit zusammen mit einigen lieben Freunden und sehr vielen liebgewonnenen Menschen hier in den USA.
Im Moment sitze ich im Hotel, schreibe diese Zeilen hier fertig und beobachte den Schnee, wie er leise vom Himmel fällt.
Nachher geht’s mit dem Hotel Shuttle zum Logan Airport und über Amsterdam zurück nach Deutschland.
See you on the Road!
(Magic, November 2007)