... wenn das GROSSE FEUILLETON, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sich mit Bruce Springsteen beschäftigt.
Die kulturpolitische Speerspitze in konservativen Landen und Bewahrerin von Theater- und Klassikzunft hat es in den vergangenen Jahren (oder wahren es Jahrzehnte) geschafft, um die Musik von Bruce einen weiten Bogen zu machen und ihn stetig zu ignorieren.
Um so erstaunlicher ist diese großartige Kritik auf das neue Album:
Zitat:
01. Oktober 2007
Es ist lange, sicher mehr als zwanzig Jahre her, dass Bruce Springsteen eine richtige, das heißt: die Balance aus Breitbeinigkeit und Empfindsamkeit haltende Bruce-Springsteen-Platte gemacht hat. Dabei war es in all der Zeit durchaus nicht so, dass der, wie man hört, immer noch zufriedene Familienvater nicht fleißig gewesen wäre. Aber irgendetwas fehlte: die fiebrige und, von einem gewissen Punkt an, natürlich nur noch zusammengeklaute Romantik, die einst den schwitzenden Ehrgeiz des Aufsteigers verriet, der Springsteen ganz am Anfang ja wirklich war und der in seinem Erlebnishunger mehr mit dem Eckensteher-Rhythm-&-Blues von, sagen wir, „Mink DeVille“ zu tun hatte als mit richtigem Rock 'n' Roll.
Nun kommt er uns mit einer Platte, die, wieder produziert vom Mainstream-Experten Brendan O'Brien, der für einen körnig-dichten Klang sorgt, einfach „Magic“ heißt und auf der die wieder gnädig hinzugezogene „E Street Band“ rumpelt und donnert, was das Zeug hält - so wuchtig und unverhohlen gitarren- und saxophonlastig hat man den Boss und die Seinen tatsächlich lange nicht gehört. Klingt das „Radio Nowhere“ mit der Metapher von der verlorenen Telefonnummer und der Unzufriedenheit über das Radioprogramm noch nach solidem, aber nun doch schon etwas abgestandenem Ältere-Herren-Rock mit kulturpessimistischer Duftnote, so greift „You'll Be Comin' Down“ einem direkt ans Herz: Das ist akkurat der gute, alte Desillusionismus, mit dem dieser Möchtegern-Jedermann groß wurde.
Hilflosigkeit und Zuversicht
Zurückgekehrt zum Rock'n'Roll: Bruce Springsteen
Wenn er sich dann in den scharfkantigen Shuffle von „Livin' in the Future“ reinhängt, dann fragt man sich, warum er so viel Zeit und Energie verschwendet an Musik, die eben nicht diese strukturelle Klarheit atmet, wie wir sie aus der klassischen Phase zwischen „Born To Run“ (1975) und „Born In The U.S.A.“ (1984) kennen. Das Lied vereinigt das Beste aus „Tenth Avenue Freeze-Out“ und „Cover Me“ in sich: die aggressiv herausgeschriene Hilflosigkeit des Außenseiters und die Zuversicht des Durchschnittstypen, dessen Herz heiß genug ist, um einer schönen Frau zu sagen, dass sie's schlechter treffen könnte als mit einem wie ihm.
Wenn man sich fragt, was einem am späten Springsteen am meisten auf die Nerven ging, dann muss man wohl sagen: dieses Geigengefiedel, das wohl irgendwie an den Bob Dylan der „Desire“-Zeit erinnern sollte, aber zu ihm überhaupt nicht passte. Es wirkte irgendwie frömmelnd und weckte ungute Erinnerungen an den Mittsiebziger-Johnny-Cash. Ganz lassen kann Springsteen es diesmal auch nicht, und so ist „Your Own Worst Enemy“ eindeutig einer der schwächeren Songs. „Gypsy Biker“ bedient sich, mit klassischem Mundharmonika-Intro und einem Gesang, in dem Dringlichkeit und Verzagtheit so unnachahmlich zusammenkommen, uralter, aber immer noch wirksamer Chiffren der Fortbewegung als exemplarischer, einzig sinnvoller Lebensweise - and the night stood still.
Kein Grund, vor ihm stehenzubleiben
Der alte Biss ist wieder da: Springsteen in New York
Wie alt Bruce Springsteen aber geworden ist - in zwei Jahren wird er sechzig -, merkt man in dem musikalisch ebenfalls ansprechenden „Girls in their Summer Clothes“: Der Boss hat sich eine Joppe übergezogen und lungert erwartungsvoll an der Straße herum, „the girls in their summer clothes pass me by“, und so, wie ihn die ganz auf maskulin getrimmten Booklet-Fotos jetzt wieder zeigen, mit Ziegenbart und Unterbiss, haben die Girls auch keinen Grund dazu, vor ihm stehenzubleiben.
Obwohl der Titelsong zeigt, wie wenig Springsteen die verhaltene, nur auf einen hübschen Einfall setzende Spielweise liegt, ist „Magic“ ein überzeugendes, erfreuliches, fast zeitloses Album geworden, mit allerdings wieder recht deutlichen politischen, also pessimistischen Untertönen. In seiner latent verzweifelten Fiebrigkeit und melodiösen Kraft vereinigt es die Tugenden der mittleren Ära in sich, um derentwillen Springsteen einst so bedeutend wurde. Es ist der Glaube nicht so sehr daran, dass es irgendwie immer weitergeht - das wäre zu wenig -, sondern daran, dass es so etwas wie Veränderung und Neubeginn gibt: „Everybody has a reason to begin again.“ Niemand kann diese Zeile, aus dem überragenden „Long Way Home“, so singen wie Springsteen.
Wiedervereinigt mit der E Street Band
Nach langer Zeit hat der Boss wieder etwas vorgelegt, wovon seine Musik lebt: die Studie eines genau beobachteten Durchschnittsmilieus, das längst nicht mehr sein eigenes ist, mit dem er sich aber auf den einen entscheidenden Nenner immer noch einigen kann. Sein Name ist Rock 'n' Roll.
Bruce Springsteen, Magic. Columbia/Sony BMG 17060
Text: F.A.Z., 02.10.2007, Nr. 229 / Seite 40
Bildmaterial: AP, Danny Clinch