Hier noch was aus der Hauptstadt mit herzlichen Grüßen an alle. die auch nach Mannheim fahren!
Feuilleton
ddp
Bruce Springsteen, 58, hat eine Platte mit Reminiszenzen an sich selbst aufgenommen. Lebt hier noch jemand?
Bruce Springsteen kehrt mit dem famosen Album "Magic" an Orte zurück, die er nie verlassen hat
Frank Junghänel
Wie eine Orkanwalze rollen die ersten Akkorde auf einen zu. Die Elektrogitarre gibt ein grindiges Dröhnen her, das Schlagzeug tickt wie ein Zeitzünder, als schon die Mundharmonika das Intro zerfräst; es ist Musik, aber Musik, wie sie Bruce Springsteen versteht, ist immer auch Kino, diesmal wieder in Cinemascope. Nach 15 Sekunden ist der Vorspann vorbei. "I was tryin' to find my way home", singt er hastig. Es muss schnell gehen diesmal, der Mann, der für seine Litaneien bekannt ist, fasst sich kurz, die Zeit sitzt ihm im Nacken. Denn alles, was er auf der Straße nach Hause hört und sieht, gibt doch Anlass zur Befürchtung. Ein Satellit taumelt am Himmel, Nebelregen ringsum, kein Mensch, nirgends. Nur der da oben sendet noch: "This is radio nowhere, is there anybody alive out there?"
Hallo, lebt hier noch jemand?
Jene entseelte Landschaft, wie sie Bruce Springsteen in diesem Eröffnungsstück "Radio Nowhere" heraufbeschwört - einer der besten Rocksongs, die er je geschrieben hat - bildet den Bühnenhintergrund für alles, was sich auf seinem neuen Album "Magic" abspielen wird. Song für Song belebt er seine Welt mit Figuren und Bildern, vieles bleibt dabei im Mystischen, selten wird es fassbar. Zudem weist "Radio Nowhere" der Platte eine unerhörte stilistische Richtung - der Bruce Springsteen dann allerdings nicht über die ganze Strecke folgt. Deutlicher als bei jedem anderen Stück ist in der Ouvertüre das Handwerk des Produzenten Brendan O'Brien zu spüren, mit dem Springsteen seit seiner Comeback-LP "The Rising" zusammenarbeitet. Auch diesmal ist wieder die komplette E-Street-Band dabei, aber zumindest ganz am Anfang klingt sie mal nicht so. Brendan O'Brien, der insbesondere als Produzent der Gitarrenband Pearl Jam einen dichten, rauen Sound kreiert, hält die Instrumentalisten kurz, strafft ihr Spiel an allen Enden und fabriziert eine Musik von brachialem Charme.
So geht es nicht immer weiter, was man nun bedauern kann, aber wirklich nicht muss. Mit dem zweiten Stück "You'll Be Coming Down" ist Bruce Springsteen wieder ganz bei sich, das heißt irgendwo zwischen "The River" von 1980 und "Born in the U.S.A.". "Magic" bildet so etwas wie das Bindeglied dieser beiden prägenden Alben. Es gehört eigentlich in eine Zeit, die es nicht mehr gibt, es erinnert an Helden, die alt geworden sind.
So kommt einem Springsteens neues Album manchmal wie die Fortsetzung von Peter Bogdanovichs Film "Die letzte Vorstellung" vor. Jeff Bridges ist jetzt ein schlapper Sack und Cybill Shepherd, die Schöne aus der Highschool, würde sich nie mehr nackt aufs Sprungbrett trauen. Aber sie leben noch. Oder sie tun zumindest so.
Der Reisende ist also auf dem Weg nach Hause. Der Wind trägt ihm einen Brief zu, "somethin' 'bout me and you/never seen one another again". Was folgt ist eine motivreiche Exkursion in die von ihm gern gesuchten Untiefen der Vergeblichkeit. Vertane Chancen, verlorene Liebesmüh, ramponierte Herzen, Untergangsstimmung. Aber keine Sorge Darling, singt er, "we're livin' in the future and none of this has happend yet". Wir leben in der Zukunft, daran glaubt einer wie er doch selber nicht.
Wie öfter bei Bruce Springsteen übertönt die hymnische Musik die elegische Note des Textes. Als fröhlicher Retrorock ist der Song "Livin' In The Future" Manufactum für die Ohren. Nicht nötig, aber gut gemacht. Stilistisch knüpft er an "10th Avenue Freeze Out" von der LP "Born To Run" an. Mit seiner integrierten Polonaise dürfte die Schunkelnummer ein Schlager bei der am Dienstag startenden US-Tournee werden.
Vielleicht zum letzten Mal wird die E-Street-Band gemeinsam auf die Reise gehen. Bei den Aufnahmen zur neuen Platte hatten die Musiker zumeist Einzeltermine. Spur für Spur wurde das Werk zusammengefügt, und dass es jetzt wie aus einem Guss klingt ist kein Wunder, sondern alte Schule. So haben sie auch früher ihre Soundwände geschichtet. Die Gitarren von Stevie van Zandt, Nils Lofgren und Springsteens Telecaster verschmelzen zu einer harten Legierung, die den Ton der Platte grundiert. Solos gibt es kaum, der einzige, der sich ab und zu ein Extra erlauben darf, ist der Saxofonist Clarence Clemons. Springsteens Impresario John Landau nennt diesen Sound "leichtfüßig". Genau das ist er eben nicht.
Springsteen ließ zwar dementieren, dass die anbrechende Tour eine Abschiedstournee sei, sagte aber auch, dass er eine Abschiedstournee niemals ankündigen würde. Wie auch immer, er arbeitet jetzt ja ohnehin dreigleisig. Neben seiner elektrischen Hausband beschäftigt er seit Jüngstem eine eher folkloristisch orientierte Sessions Band, für die er nun auch langfristig plant. Zudem erscheinen ab und an Soloalben, wie zuletzt das grobkörnige "Devils & Dust". Es ist nicht so, dass er sich nicht öfter was Neues einfallen ließe.
Und jetzt lässt er sich eben wieder mal was Altes einfallen. Das Material indes ist immer das selbe. Als amerikanischer Heimatdichter zitiert sich Bruce Springsteen in einer Weise, wie sich ein Skulpteur zitiert. Er bearbeitet seinen Stein und findet dabei immer wieder neue Variablen seiner Kunst.
Selbst in der von ihm tradierten Rockform gibt es durchaus Spielraum. "Your Own Worst Enemy" in seinem Streicherbett klingt wie ein englischer Popsong. Es ist eine Moritat über das Trügerische jeglicher Sicherheiten, weil der Feind in deinem Leben am Ende du selber bist. "Girls In Their Summer Clothes" erinnert, anders als der luftige Titel vermuten lässt, an schwer umwölkte Beach Boys. In "Gypsie Biker", das mit einem Fetzen Mundharmonika aus dem Lied vom Tod beginnt, begibt sich Springsteen auf die Landstraße, sein heiliges Terrain. Jetzt wird es gleich ein bisschen biblisch, wie später nochmal in dem Titelsong "Magic", wenn er in den Bäumen Tote baumeln sieht. Der Heimreisende begegnet der Apokalypse.
Mit dem vorletzten Stück "Long Walk Home" erreicht die Platte wie es sich gehört ihre Klimax. Bruce Springsteen kehrt an den Ort zurück, den er im Grunde nie verlassen hat, er geht durch die Straßen, aber er kennt die Gesichter nicht. Seine Stadt ist ihm fremd. Der Vater zeigt ihm die Fahne auf dem Gericht. Das Sternenbanner steht für Dinge, die er für unverrückbar hält, "wer wir sind, was wir tun und was wir zu lassen haben."
Bruce Springsteen singt, "hier hat jeder einen Nachbarn, jeder einen Freund und jeder hat einen Grund, von vorn zu beginnen". Aber der Weg wird noch lang sein. "It's gonna be a long walk home". Man mag seinen Glauben an das einfache Amerika naiv finden, ans Herz geht er einem doch.
Bruce Springsteen: "Magic" ist bei Sony BMG erschienen