Der Tagesanzeiger schreibt :
29. September 2007, 00:39 – Von Nick Joyce
Springsteen rüstet sich für die Sportstätten
Auf dem neuen Album «Magic» kehren Bruce Springsteen und seine E Street Band fast zu den Anfängen zurück. Aber der alte Stadion-Sound schleppt.
Bruce Springsteen ist auf seiner neuen Platte eher mit Diesel als mit Super unterwegs.
Jeder, der Bruce Springsteen mal auf der Bühne gesehen hat, weiss, dass die Platten des 58-jährigen Amerikaners nur die halbe Miete sind. Zugegeben, der Sänger und Gitarrist aus New Jersey ist ein hervorragender Songwriter, dem die Rockmusik zahllose Klassiker verdankt, doch geben diese Stücke ihre Bedeutung erst im Konzert oder oft auch nach längerer Zeit preis. Deshalb muss man jedes neue Album wie eine Zeitbombe behandeln, die sich erst später als Meisterstreich oder Fehltritt entpuppt.
«Magic» nun hat – das ist bei Springsteen nicht immer der Fall – wenigstens ein klares Konzept. Für die Aufnahmen mit dem Produzenten Brendan O Brien hat Springsteen seine treuen Begleiter von der E Street Band um sich geschart, um nach den eher folkigen Exkursen der letzten Alben wieder jenen wuchtigen Sound zu bewerkstelligen, der ihn einst berühmt gemacht hatte. Denn 2007/2008 will Springsteen wieder durch die Sportstätten dieser Welt ziehen. Symbolisch korrekt hängt er sich für die Pressefotos eine Telecaster-Gitarre um, wie schon 1975, als er mit «Born to Run» sein erstes Schlüsselwerk vorlegte: Auf diese sechs Saiten können Sie bauen, lautet die Botschaft, die Konzerte werden wohl wieder so laut und so lang wie vor dreissig Jahren sein.
Allerdings hört man «Magic» an, dass die Zeit nicht spurlos an Springsteen vorbeigegangen ist. Die knurrige Stimme ist engagiert und schafft doch die nötigen Gangschaltungen nicht mehr so mühelos, wenn ein heroischer Refrain ihr einen Kraftakt abverlangt; die Kehle bleibt leicht geschlossen, die Worte wirken matt intoniert. Das führt zu Energieabfällen, da kann die E Street Band noch so tapfer in die Rhythmen liegen, einige der Songs wollen einfach nicht auf Touren kommen. Der gemeinsame Motor schleppt, als sei sein Tank mit Diesel statt Super gefüllt worden.
Diese Blockaden mögen einiges damit zu tun haben, wie «Magic» zu Stande gekommen ist. Weil die Bandmitglieder anderen Jobs nachgehen (Schlagzeuger Max Weinberg spielt in der Hausband einer Talkshow, Gitarrist Steve Van Zandt ist Radiomacher und Gelegenheitsschauspieler, er gab etwa den Stripladenbesitzer Sil in den «Sopranos»), wurden sie schichtweise nach Atlanta eingeflogen: Hatte die Rhythmusgruppe die Basis eines Songs erarbeitet, konnten Springsteen und Produzent O'Brien die verbleibenden Parts darauf aufbauen. Das ist eine heute gängige Vorgehensweise, doch glaubt man, diesen Arrangements die fehlende Interaktion anzuhören. Da mag die Zeit gefehlt haben – «Magic» entstand in nur zwei Monaten –, um eingespielte Songgerüste niederzureissen und neu zu errichten.
Hommage an einen Freund
Dass einige der neuen Songs etwas schleppend klingen, ist die eine Schwäche, dass andere schlicht schwach sind, die andere. «Girls In Their Summer Clothes» hält nicht mehr, als der laue Titel verspricht, mit «I ll Work for Your Love» ist alles gesagt, was über diesen unspektakulären Song gesagt werden muss. Generell fehlt Springsteen das filmische Geschick seiner besten Arbeiten. Waren seine Songs früher vertonte Drehbücher, so vermitteln die neuen Stücke das fragmentarische Gefühl von Videoclips: In ihnen steckt zwar viel Stimmung, aber wenig Spannung.
Dennoch, es gibt Lichtblicke: «Livin' in the Future» ist vielleicht nur ein Aufguss der alten Party-Nummer «Hungry Heart», aber die E Street Band interpretiert ihn mit freudiger Gelassenheit. «Gypsy Biker» hat die staubige Romantik eines Roadmovies, das Eröffnungsstück «Radio Nowhere» erinnert gar an den aufbrausenden Rock von Pearl Jam. Meisterwerke sind diese Songs nicht, aber man wird den iPod aufdrehen, wenn der Zufallsgenerator auf sie stösst.
Gegen Ende des Albums wird Springsteen auch ein bisschen subversiv. Obwohl die Politik laut seinem Manager Jon Landau aktuell keine Priorität ist, dreht sich der Dreierblock «Last to Die», «Long Walk Home» und «Devil s Arcade» doch um einen sinnlosen Krieg und seine Folgen. Um welchen Krisenherd es hier geht, muss Springsteen nicht sagen: Bei einem Künstler von seiner Statur bilden diese Andeutungen schon ein Statement.
Den Abspann macht die Bonus-Nummer «Terry's Song», die erst spät ins Set eingespeist wurde. Hier türmt Springsteen Bilder aus Kunst, Technik und Architektur aufeinander, um sein Gegenüber zu loben, und bis man die Geschichte dahinter kennt, fragt man sich, warum ihm dieser ungelenke Song so wichtig war. Tatsächlich geht es in «Terry's Song» um Springsteens kürzlich verstorbenen Assistenten Terry Magovern, aber auch ohne diese Information hat diese mit Gitarre, Klavier und Mundharmonika schlicht arrangierte Hommage eine Dringlichkeit, die das übrige Repertoire in Frage stellt.
Hier wird ein Verlustgefühl mit minimalem Aufwand vertont, während sich Springsteen sonst im vielschichtigen Sound der E Street Band verheddert. Gerne hätte man von diesem reduzierten Ansatz mehr gehört; nur kann man mit solchen Stücken wie «Terry's Song» keine Stadien beschallen, das weiss Springsteen wohl, darum hat er sich auf die alte Breitsalve eingelassen. Hier hat der Schwanz offenbar mit dem Hund gewedelt – bei Stadionfüllern wie Springsteen ist das oft so, aber diese Rückwärtslogik führt in den wenigsten Fällen zu tollen Studio-Platten. «Magic» ist da keine Ausnahme.
Bruce Springsteen: Magic (Columbia/Sony BMG).
Der Tagesspiegel schreibt :
Der Staub der Straße
Breitwandrock: Bruce Springsteen zelebriert sein 15. Studioalbum „Magic“
Von Nadine Lange
01.10.2007 00:00 Uhr
Er hatte sie in letzter Zeit vernachlässigt, seine alte Gefährtin. Doch sie wusste: Er kommt zu mir zurück. Auch diesmal sollte sie Recht behalten. Nach rund drei Jahren, in denen vor allem Akustikgitarren auf seinem Schoß Platz genommen hatten, hat Bruce Springsteen seine abgeschabte Fender Telecaster wieder aus dem Koffer geholt. Im Innencover seines neuen Albums „Magic“ hält der 58-Jährige sie im rechten Arm und im linken seine Frau Patti Scialfa. Sie ist Mitglied von Springsteens E Street Band, die ebenfalls wieder mit von der Partie war – zum ersten Mal seit „The Rising“ (2002).
Die Wiedersehensfreude scheint groß gewesen zu sein: Die ersten drei Songs des wieder von Brendan O’Brien produzierten Albums brettern herein wie ein 1000-PS-Truck, der Vollgas gibt. Er rast stur geradeaus, jubiliert und rockt, was das Zeug hält. Schicht auf Schicht türmt sich der Sound ins Monumentale. Und Clarence Clemons streut, wo er kann, noch ein Saxophon-Solo obendrauf. Das erinnert an Springsteen, wie man ihn von seinem Durchbruchsalbum „Born to Run“ (1975) kennt und wie man ihn seither immer wieder gehört hat. Ihm das vorzuwerfen, wäre ungefähr so sinnvoll, wie sich bei einer Brauerei zu beschweren, dass sie Bier herstellt.
Seit jeher gilt Bruce Springsteen, „der Boss“, als die Verkörperung des ehrlichen Kerls, der sich alles hart erarbeitet hat. Und wenn er mit rauer Stimme von seiner Heimat singt, nimmt man ihm das ab, weil er immer noch in New Jersey wohnt und sonntags seiner Tochter beim Reiten zuschaut. Diese Bodenständigkeit spiegelt sich auch in seinen Texten, die auf kunstvoll reduzierte Weise kleine Dramen aus dem Leben von Bobby, Janey, Mary oder John erzählen. Sie alle haben vom American Dream nie wirklich etwas gesehen, schlagen sich irgendwie durch, fahren ewig auf dem Highway herum oder hocken in schmuddeligen Bars.
So ein Typ war auch der „Gypsy Biker“, von dem eine der anrührendsten Geschichten auf „Magic“ erzählt: Tot ist er nach Hause zurückgekehrt, Schuhe und Kleider sind schon verkauft. Die Freunde schieben sein Motorrad aus der Garage, polieren es, fahren zu einer Schlucht und verbrennen es. Es ist beeindruckend, wie die E-Gitarren und einige gezogene Mundharmonika-Fäden das Bild einer Straße heraufbeschwören und es mit der Trauer der Freunde vermischen. Springsteen überzeugt auf seinem 15. Studioalbum am meisten, wenn er Schmerz oder Wut zum Ausdruck bringen will. Dies geschieht vor allem in der besseren zweiten Hälfte des Albums, wo sich auch die Stücke mit Bezügen auf den Irak-Krieg befinden. Zu einfachem Bush-Bashing lässt Springsteen sich nicht hinreißen. Seine Meinung über den US-Präsidenten ist schließlich spätestens seit seiner Teilnahme an der „Vote-for-Change“-Tour im Jahr 2004 bekannt, bei der er sich für dessen Abwahl einsetzte. In „Last to die“ singt er: „Who’ll be the last to die for a mistake/The last to die for a mistake/Whose blood will spill/Whose heart will break/Who“ll be the last to die“. Diese Frage, wer der Letzte sein wird, der für einen Fehler sterben muss, stellt er ohne Fragezeichen, denn die Antwort liegt auf der Hand: Diejenigen, die das Blutvergießen verursachen, sind selber die letzten, deren Blut fließt. Konkreter wird Springsteen in „Devil’s Arcade“, das als eine Fortschreibung des Titelstücks von „Devils & Dust“ von 2005 gelesen werden kann. In diesem zu Beginn des zweiten Irak-Kriegs geschriebenen Lied ging es um einen Soldaten in einem weit entfernten, staubigen Land, der mit dem Finger am Abzug von Angst und Zweifeln übermannt wird. Der Wüstenstaub klebt auch in „Devil’s Arcade“ am Gesicht eines Soldaten. In der Mitte des Stücks schwingt sich die vorher in der Distanz verharrende E-Gitarre zusammen mit der Streichersektion zu einer mächtigen gemeinsamen Klage auf. Die anschließende Schilderung der Sehnsucht des Soldaten nach seinem Zuhause ist eine zu Tränen rührende Meisterleistung in Sachen unpeinlichem Pathos.
Bei zwei der zwölf Songs auf „Magic“ fährt die E Street Band ihren kraftstrotzenden Breitwandsound zurück und überzeugt mit klaren Akustikarrangements: Der Hidden Track sendet einen zarten Abschiedsgruß an Springsteens im Sommer verstorbenen Freund Terry Magovern. Und „Magic“ ist eine wunderbare, flirrende Kurzballade, die an Springsteens Songwriter-Solowerke im Stile von „Nebraska“ erinnert. Hier sieht man wieder, was sich bei „Devils & Dust“ sowie der Pete-Seeger-Hommage „We shall overcome“ gezeigt hat: Springsteen mit Akustikgitarre ist derzeit fast interessanter als mit der E-Gitarre. Doch die Telecaster muss nicht eifersüchtig werden, denn ihr Meister hat erst kürzlich Gerüchte dementiert, dass sich die E Street Band bald auflöst. Noch „viele, viele, viele weitere Jahre“ wolle er mit seinen Kumpels spielen. Und da darf die alte Lady natürlich nicht fehlen.
Bruce Springsteens „Magic“ ist bei SonyBMG erschienen. Live am 2. 12. in Mannheim und am 13. 12. in Köln
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 01.10.2007
_________________ I Found Living Proof
|