die neue zuercher zeitung:
Nachrichten aus der verbrannten Welt
Bruce Springsteens Album «Magic»
Eine düster dräuende, aber trotz ihrer Grösse auffallend geschmeidig heranrollende Riff-Kreatur aus Power-Chords wirft einen langen Schatten. Der schwere, harte, grandiose Opener «Radio Nowhere» ist so eine Art musikalisches Menetekel. Er nimmt nicht nur Springsteens Rekurs auf den verschwitzten, testosteronreichen Breitwand-Rock von «The River» und vor allem «Born In The U.S.A.» vorweg, sondern er weist auch thematisch den Weg: «I was tryin' to find my way home / But all I heard was a drone / Bouncing off a satellite / Crushin' the last lone American night.» Es ist eine Endzeit- und Untergangsvision, die Springsteen hier evoziert und die auch in den folgenden Songs immer wieder aufgerufen wird, biblisch umschrieben als eine Art Fegefeuer, gekleidet in wütenden Kriegsszenarios oder in dunklen Parabeln wie in dem Titelstück «Magic», dessen sinistre Perspektive auf die «conditio humana» an Cormac McCarthys apokalyptisches Epos «Die Strasse» gemahnt: «Now there's a fire down below / But it's coming up here / So leave everything you know / Carry only what you feel / On the road the sun is sinkin' low / Somebody's hanging in the trees / This is what we'll be / This is what we'll be.»
Aber selbst in so einer verbrannten Welt gibt es Hoffnung, nämlich «Radio Nowhere». Das sendet weiter: «This is Radio Nowhere, is there anybody alive out there?» Man wird das als Chiffre für den Künstler, für den Strassenprediger Bruce Springsteen verstehen dürfen, der sich hier mit hybrider Geste als eine Art unfreiwilliger Behelfs-Messias stilisiert, weil der echte sich aus der Welt verabschiedet hat. Und indem er noch einmal die alten Phrasen aufruft, erschafft er sich seine Welt neu: «I want a thousand guitars / I want pounding drums / I want a million different voices speaking in tongues.» Aber diese Re-Genesis im Zeichen des Rock'n'Roll ist vielleicht doch bloss Wunschdenken. Am Ende des Songs fleht er immer wieder: «I just want to feel some rhythm» – und der Chor der gefallenen Engel raunt ihm süsslich-sarkastisch zu: «You swoon!» – du fällst in Ohnmacht. Vor diesem Hintergrund bekommen auch die optimistischen Stücke eine elegische Drift, als ginge es hier nur noch um Reminiszenzen, um vergangenes Glück. So etwa in der leicht angekitschten Kleinstadtgeschichte «Girls In Their Summer Clothes», in der das Ich in Gedanken die glückverheissenden Alltags-Orte abschreitet, als gäbe es sie längst nicht mehr.
Bruce Springsteen hat für «Magic» einmal mehr die E Street Band rekrutiert. Die letzte Kollaboration «The Rising» ist auch schon wieder fünf Jahre alt, und wie man hört, wird es keine weitere geben. Aber das sollte sich Springsteen vielleicht doch noch einmal überlegen. Denn auch wenn man aufgrund vielfältiger Verpflichtungen keinen gemeinsamen Studiotermin gefunden hat, Spur für Spur, Overdub für Overdub hat man aus Springsteens, Little Steven van Zandts und Nils Lofgrens eng verknüpften Gitarren, aus Danny Federicis schwermütiger Orgel, Roy Bittans Pianophrasen, Clarence Clemons' Sax-Protzerei usw. eine enorm dichte, dabei differenzierte, einmal mehr beeindruckende Sound-Textur gewoben. Man stösst zwar ständig auf Altbekanntes, auf die grossen Songs der Vergangenheit – im nostalgisch stampfenden «Livin' In The Future» etwa klingt deutlich «Hungry Heart» mit, in «Gypsy Biker» scheint «Born In The U.S.A.» nicht fern –, aber das ist dann weniger Selbstplagiat als Variation, weil Springsteen nun einmal nicht aus seiner Haut kann. – «Boppin' through the wild blue / Tryin' to make a connection with you», singt er, sich selbst Mut zurufend, in «Radio Nowhere». Springsteen, der alte Stoiker, macht einfach immer weiter. Einer muss es ja machen.
Frank Schäfer
ich wuerde sagen, die beste kritik, die ich bisher gelesen habe. da hat sich jemand mal wirklich mit den texten und der musik auseinandergesetzt.