Netzwerg hat geschrieben:
Mal abgesehen davon, dass es in diesen Arenen anscheinend wirklich schwierig ist, einen ansprechenden Sound hinzutüfteln. Speziell davon war ich in diesem Fall überhaupt nicht begeistert. Es ist schon schade, wenn gerade bei dieser Art von Musik, die so verspielt und so detailreich daherkommt, so viel im "Klangbrei" untergeht.
War Jemand in Frankfurt? Zumindest der Presse nach muß der Sound auch in der Arena eher bescheiden gewesen sein...ist so ziemlich das einzige, worin sich beide Kritiker einig sind
. Schon interessant, wie unterschiedlich die Eindrücke sind:
Mal wieder die "Allgemeine Zeitung Mainz":
Wenn sich die Zeiger der Uhren überschlagen
Kultband Genesis mit "Turn it on again"-Triumphtour in der Frankfurter Commerzbank-Arena
Vom 07.07.2007; von Peter Müller
FRANKFURT Die Uhren gehen schneller an diesem Abend. Auf der futuristischen Videowand rast die Zeit sogar: Zu "No son of mine" überschlagen sich die Zeiger eines virtuellen Weckers. Dabei sind sie gekommen, um die Uhr noch einmal zurückzudrehen. Nach 15 Jahren Pause. Ein Anachronismus, den wohl nur die Rockmusik schreibt, und nicht der letzte in den nächsten knapp drei Stunden. Phil Collins, beim instrumentalen Opener aus "Behind the lines" und "Duke´s end" hinter einem riesigen Schlagzeug-Instrumentarium kaum zu entdecken, schiebt sich so unprätentiös über die Bühnenmuschel, als besetze er gerade seinen Stuhl im Stammpub. "Guten Abend, Fräänkfurt. Wirr sin Genesis. We´re here to entertain you!", radebrecht er unter dem Jubel der Fans und schießt Erinnerungsfotos.
Später wird er von seinen überdimensionierten Spickzetteln ulkiges Kauderwelsch ablesen wie "Now we´re gona play ääteres Stuck about a lots of Gespensters", und meint, noch immer ohne Lesebrille, "Home by the sea", zu dem nun verfremdete Munch-Geister über die riesige Projektionswand huschen. Der anfängliche Soundbrei hat sich dann gottlob vom enervierenden Echo befreit, und nach einem Medley "alter" Songs - was schon deshalb skurril klingt, weil Genesis gar keine neuen eingespielt haben - ist auch das Publikum zunehmend elektrisiert. "In the cage", "Follow you" und "I know what i like" sei Dank.
Geschätzte 40000 sind in die Commerzbank-Arena gepilgert, um - trotz Police und, haha, Take That - die einzig wahre Reunion des Jahres zu erleben. Stoiker Mike Rutherford hat mit ähnlich zerfurchter Miene wie Kollege Keith Richards noch einmal die Doppelhals-Bassgitarre umgeschnallt, und der schön grau melierte Tony Banks friggelt regungsarm an seinem Keyboard. Auch Stammgast Chester Thompson, der später in einem furiosen Duett mit Kumpel Collins zwei Bühnenhocker mit Schlagstöcken bearbeiten wird, ist einfach da und virtuos. Nur Peter Gabriel fehlt - aber das ist eine andere Geschichte und eine andere Tour.
Wenn man ketzerisch sein mag, spielt es auch eigentlich keine Rolle. Denn Genesis sind auch ohne ihn auf einer veritablen Triumphtour durch halb Europa. Eine gigantische Wiedersehensfeier, für die parallel vier Bühnen in 102 Lastwagen durch die Lande gekarrt werden müssen. Lichtdesigner Patrick Woodroffe, der sehr genau weiß, wie man Stadien illuminiert, und Set-Designer Mark Fischer haben das Ihre zu der Mega-Show beigesteuert. Aber, der immense Aufwand, die Lightshow, das Feuerwerk und die unvermeidlich mitschwingende Nostalgie - das ist es nicht, was die Faszination dieses Auftritts ausmacht.
Genesis brauchen keine Mätzchen, keine Allüren, keine Gogo-Girls, keine Anbiederung. Sie spielen - so der Sound es zulässt - sauber ihr Ding wie vor zwanzig Jahren, sie suggerieren glaubhaft Respekt vor den Fans, und das eigentlich Spektakuläre ist die Selbstverständlichkeit, mit der sie das tun. Es soll zwar immer noch Kritiker geben, die den Progressivrock von einst und seine kommerziellere Variante nach der Gabriel-Demission für einen Irrtum halten - wer aber die aktuellen Instrumental-Ausflüge der weisen alten Männer ins Labyrinthische erlebt, muss konstatieren: Das ist noch immer eine Offenbarung. Kal-kulierbarkeit hin, gepflegte Langeweile her - "Invisible Touch" swingt nach wie vor, und die harten Riffs vom Passgang-Klassiker "I can´t dance" bleiben Kult. Dann lassen "Ripples" oder das Schlussstück "Carpet Crawlers" aus dem 74-er Mammutwerk "The lamb lies down on broadway" noch einmal wohlige Schauer über den Rücken rieseln, und klar ist: Es war schlicht ein grandioses Erlebnis, "Tonight, tonight".
Und im Gegensatz dazu "FAZ online":Genesis
Ohne Ecken, ohne Kanten
Von Christian Riethmüller ; 06. Juli 2007
Menschen unter 30 Jahren muss dieser Konzertsommer vorkommen, als hätte jemand vergessen, das Tor zum Jurassic Park zu schließen. Bob Dylan, „The Who“, „Aerosmith“, die „Stones“, Brian Wilson, John Fogerty, Joan Baez – die Dinosaurier unter den Rock- und Popgrößen leben und ziehen unverdrossen um die Welt. Unter all den Dinos muss es auch einen Tyrannosaurus Rex geben, und sei es nur, um den anderen das Publikum wegzuschnappen. Der diesjährige T.-Rex-Award geht deshalb an „Genesis“, die mit einem Konzert so viele Zuschauer lockten wie die anderen zusammen.
Man kann die Wiedervereinigung von Tony Banks, Phil Collins und Mike Rutherford als so nötig wie ein Loch im Kopf erachten, doch 42.000 Menschen in der seit Monaten ausverkauften Commerzbank-Arena in Frankfurt und wohl annähernd zwei Millionen Konzertbesucher auf der gesamten „Genesis“-Tournee werden ganz anderer Ansicht sein. Sei es, weil sie den kunstvollen Progressive Rock, den die Band in den siebziger Jahren spielte, für maßgeblich halten, sei es, weil sie in den achtziger Jahren zu den massentauglichen Pop-Hits von „Genesis“ aufwuchsen, oder sei es, weil sie Phil Collins als Solokünstler mögen und den Sänger und Schlagzeuger einmal mit seiner alten Gruppe erleben wollten.
Selbstironische Späßchen des Anti-Stars
Den unterschiedlichen Erwartungen versuchte die Band in Frankfurt mit einem etwas erratischen Programm gerecht zu werden. Da war etwa zwischen dem Radio-Pop von „Land of Confusion“ und „Hold on my heart“ ein Medley mit Stücken der Siebziger-Jahre-Alben „Selling England by the Pound“, „The lamb lies down on Broadway“ und „Wind and Wuthering“ zu hören, deren märchenhafter Pomp so gar nicht zum sattsam bekannten Hitparaden-Material passen wollte. Ältere Gniedel- und Fiedel-Songs wie „Ripples“ oder „Los Endos“ oder auch „Firth of fifth“, das gänzlich unpassend auf „Follow you follow me“ folgte, litten zudem unter dem Stadion-Sound, der zumindest auf den Tribünen mitunter an einen Tonbrei erinnerte.
In diesem mittleren Teil des mehr als zweieinhalbstündigen Konzerts führte Phil Collins auch einmal vor, was wahrscheinlich wesentlich für den ungebrochenen Erfolg von „Genesis“ ist. Dieser Gruppe geht jeder Glamour und auch jede Aura ab. Collins konnte ruhig zu einer Schuhplattler-Einlage ansetzen, ohne fürchten zu müssen, sich zum Affen zu machen oder gar einen Nimbus zu zerstören. Der personifizierte Anti-Star erlaubte sich nur ein selbstironisches Späßchen.
Collins’ Jedermann-Attitüde, die nur beim vergleichsweise dramatischen „Mama“ und beim ironischen „I can’t dance“ etwas weniger auffiel, führte aber auch die erschreckende Biederkeit von „Genesis“ vor Augen. Hier sind alle Ecken und Kanten abgestoßen, hier gibt es keine Leidenschaft mehr, nur noch bewährte Kost. Selbst das Wunderkerzen-Meer zur Zugabe „Carpet Crawlers“ trug nichts zu wenigstens einem magischen Moment bei. Wenn die Dinos nach diesem Konzertsommer auch noch den Preis für die gepflegteste Langeweile vergeben wollen, steht der Gewinner mit „Genesis“ schon fest. "