Hi,
schon urlange nicht mehr im Forum gewesen, geschweige denn einen Beitrag geliefert.
Nur soviel: Das Konzert war m. E. super und ich kann mich nur der Kommentare und unseren "Heimat"-Zeitungen anschließen.
Kommentar in der HAZ (Hannoversche Allgemeine Zeitung), 14.10.2006,
"Songs für Kirche und Küche"
Bruce Springsteen spielt mit einer 16-köpfigen Folkband seine 'Seeger Sessions' live in Hamburg
Seitdem er sich Ende der achtziger Jahre erstmals von seiner E-Street-Band trennte, hat Bruce Springsteen immer wieder neue musikalische Wege ersonnen, damit es ihm und seinen Fans nicht langweilig wird. Zuletzt erschien uns der 57-jährige als Konzeptkünstler. So verlangte er im vorigen Jahr vollkommene Stille im Saal für seine düstersten Songs, die er allein auf der Bühne vortrug. Jetzt kam er mit einem 16-köpfigen Folkorchester in die Color-Line-Arena Hamburg und entfachte eine Fröhlichkeit in der fast ausverkauften Halle, die man einigen Menschen ganz aus Jeans nicht zugetraut hätte.
Mit seiner Seeger Session Band hat er auch sein aktuelles Album "We shall overcome" eingespielt, eine Sammlung von bis zu hundert Jahre alten Stücken, die der US-Protestsänger Pete Seeger irgendwann aufgenommen hat oder die ihm nach Springsteens Ansicht wohl gefallen würden. Lieder voller Schmerz und Protest, Songs, die man in der Kirche und in der Küche singen kann, instrumentiert mit Bläsern, Banjo, Geige und Akkordeon.
"How can a poor man stand such times and live?" von Blind Alfred Reed zum Beispiel, ein Stück aus dem Jahr 1929, aufgenommen einen Monat nah dem Schwarzen Dienstag, der die Weltwirtschaftskrise ankündigte. Springsteen widmet den Song den Schwarzen, die New Orleans verlassen mussten, vo Flut und Rassismus fortgejagt. "And I ain't got no home in this world no more", singt er. Ähnlich beschrieb er in "Born in the U.S.A." die Verzweiflung eines Vietnam-Veteranen: "Nowhere to run, nowhere to go."
Einigen Coverversionen heftet der "Boss" ein eigenes, gleichgelagertes Stück an: Vor "Mrs. McGrath", einer irischen Ballade aus dem 19. Jahrhundert über eine Mutter, die vergeblich darauf hofft, dass ihr Sohn die Schlacht überlebt, spielt er "Devils & Dust", einen Song gegen den Irak-Krieg. Vieles ist anrührend, was diese vielköpfige Zirkuskapelle mit ihren sanften Instrumenten spielt, aber am bewegendsten ist die Abschiedshymne "Bobby Jean", die mittendring wie ein alter Kumpel um die Straßenecke biegt. Je länger das Konzert dauert, umso mehr Fans lassen sich ein auf diese besondere Volksmusikveranstaltung. Und zwar nicht nur die von der Springsteen-Sekte, die jedes Konzept des Mannes aus New Jersey mittragen. Am Ende machen alle mit.
Neil Young forderte auf seinem letzten Album, George W. Bush des Amtes zu entheben. Nichts wäre Springsteen lieber, der sich vor zwei Jahre mit R.E.M., Pearl Jam und den Dixie Chicks als Wahlkampfhelfer für Bush-Herausforderer John Kerry einsetzte. Aber Springsteen war noch nie ein Mann großer politischer Worte. Das Hamburger Konzert zeigt, dass er einen anderen Auftrag hat: Er gibt Trost. Zu seinen Songs kann man auch im Dunkeln tanzen.
Kommentar aus der NP (Neue Presse, Hannover), 14.10.2006,
"17 hippe Folkies beim Boss-Fest"
Siebzehn Mann auf der toten Männer Liederkiste. Bruce Springsteen und die gewaltige Seeger Sessions Band machen in Hamburgs ausverkaufter Color-Line-Arena bis zu 200 Jahre alte Lieder jung.
Nein, alle Männer sind nicht tot, von denen die Lieder stammen, die Bruce Springsteen in der Color-Line-Arena spielt: Schließlich hat der Boss ja auch eigene im Programm Verwandelte Songs: Aus "Open all night" ist ein Big-Band-Rocker geworden, für "You can look" gibt es sogar eine neue Melodie. Aber es finden sich auch bis zu 200 Jahre alte Tradtionals - "Mrs. McGrath" von 1815 etwa, ein Antikriegsstück über einen, dem eine Kanonenkugel die Beine weggeschossen hat.
Folktime, Folks! Aber jenseits der alten, abschreckenden Klischees. Keine spröde Saitenbelästigung in weltverbesserisch-dünnstimmiger Erregung, sondern von Sekunde eins an die Sau raus! Und die darf auch bis elf Uhr nicht mehr in den Stall. Auf der Bühne stehen (inklusive Chef) 17 hippe Folkies und machen mit Dixie-Gebläse und Honkytonk-Piano ein schwankendes Karnevalsschiff aus der Color-Line-Arena. Ein akustisches Orchester hebt an mit Lapsteel, Geigen, Klampfen, Kontrabass, Schlagzeug. Eine Street-Marching-Band - mit Tuba, Trompete, Posaune, Sax, mit Soulsängerinnen und einem Frontmann, der energisch "Jesse James" anzählt, mit bärbeißiger Stimme "Old Dan Tucker" rührt. Das Schifferklavier schubbert, Greg Liszts Banjo springt fröhlich durch die Takte.
Alte Tricks, dolle Tricks. Beispiel: Song endet mit mächtigem Schluss-Akkord. Eine Violine aber spinnt den Melodiefaden weiter. Und nach und nach steigt die ganze Band nochmals mit Gebratz ein. Oder: Mit jeder Strophe steigt Springsteen auf "Jacob's Ladder" in die nächsthöhere Tonlage. Spirituals, Gospels, Arbeiter-, Bürgerrechts-, Friedenslieder. Den Text von "Pay me my money down" singen die Leute, als wärs "Born in the USA". Und grölen den Shanty-Refrain zur Bühne hoch, über der hübsche Kronleuchter baumeln und auf der der Boss sich an der Freude der 11.500 Fans freut.
Ach ja. Alle als Buhs missverständlichen Rufe waren selbstverständlich die allerreinste "Bruuuuuuce!"-Verehrung.
Nicole[/b]