Gruß Malerknecht :
© DIE ZEIT, 24.05.2006
Flammender Protestfrühling
Die Popmusik bläst zum Sturm aufs Weiße Haus – im Namen eines besseren Amerika Von Thomas Groß
Bruce Springsteen im Kreise seiner Musiker
So zünftig hat er"s gern - Bruce Springsteen im Kreise seiner Musiker
Foto (Ausschnitt Cover "We Shall Overcome") / Danny Clinch / Sony BMG
Nicht schlecht getroffen, dieses Bild aus alten Tagen. Als gäbe es kein Fernsehen und deswegen keine täglichen Katastrophenmeldungen, hat sich die Familie einträchtig um den Küchentisch versammelt. Die Nachbarschaft ist auch gekommen, knarzige Gestalten allesamt, die ihre Musik noch echten amerikanischen Instrumenten zu entlocken verstehen, der Fiddel, dem Banjo und der akustischen Gitarre. Einer trägt Schnauzbart und Schlapphut, einer hält sich den altmodischen Kontrabass wie eine Waffe vor den Bauch. Die stockfleckige Szene wirkt, als hätte sie Hurrikan Katrina von einem gründerzeitlichen Dachboden herübergeweht in die Gegenwart. Ganz so verhält es sich in Wahrheit nicht.
Die Patina ist künstlich, das Fleckenmuster wurde am Computer generiert, die Musiker sind Leute von heute, die wie alle anderen auch mobil telefonieren. Bruce Springsteen allerdings wusste, was er tat, als er sie für das Cover seiner jüngsten, beziehungsreich We Shall Overcome genannten CD zu einem amerikanischen Stillleben arrangierte, mittendrin er selbst in seinem schönsten Flanellhemd. Die CD soll an Zeiten erinnern, als noch Männer und Frauen von echtem Schrot und Korn das Schicksal der Nation in ihre Hände nahmen. Die Botschaft: Nicht der Präsident im Weißen Haus, nicht die Leute von Fox TV, nicht die republikanischen Leitartikler – wir sind das Salz der Erde, der Stoff, aus dem das bessere Amerika gemacht ist.
Springsteen mag unter den Rockstars, die derzeit an versunkene Tugenden ihres Landes appellieren, der Volksseele am nächsten sein, der einzige Pastor ist er mitnichten. In New Orleans, wo seine Sammlung neu arrangierter Traditionals beim ersten Jazzfest nach dem großen Sturm zur Uraufführung gelangte, spendeten die lokalen Legenden Dr. John und Allen Toussaint Trost. Paul Simon, bald sieben Jahre lang verstummt, meldet sich mit einem Album namens Surprise zurück, auf dem er das Bild einer von Gott verlassenen, in die Niederungen des Verrats gefallenen Nation zeichnet. Patti Smith, die Zungenrednerin des Rock, verwandelt ihre Konzerte seit Monaten in flammende Anklagen gegen die Bush-Administration, und demnächst soll es Neues von den Dixie Chicks geben, jenen drei Texanerinnen, die vor Jahren ausgebuht wurden, als sie sich öffentlich für ihren Landsmann George W. schämten.
Bruce Springsteen, Paul Simon und die Dixie Chicks machen mobil
Was Rang und Namen hat, macht im Namen des Besseren mobil, allen voran Neil Young. »Let’s impeach the president for lying, and misleading our country into war«, fordert er auf seinem in der Rekordzeit von 14 Tagen eingespielten Pamphlet Living With War, begleitet von Trompetengeschmetter und einem 100-köpfigen Chor – ungeachtet der Tatsache, dass er selbst vor nicht allzu langer Zeit noch ins Horn der Kriegstreiber stieß. Jetzt oder nie: Angesichts des Debakels beim Krisenmanagement in Louisiana, des Umfragetiefs, in dem die Regierung steckt, angesichts bröckelnder Mehrheiten selbst in den traditionell republikanisch gesinnten Staaten, nicht zuletzt angesichts der Drohung, demnächst auch noch in einen Krieg mit Iran verstrickt zu werden, bläst die Popmusik zum Sturm aufs Weiße Haus. Dass der oft totgesagte Rock ’n’ Roll noch einmal so viel Aufruhr zu entfachen vermag – man hätte es nicht für möglich gehalten.
Der Protest gegen Bush und die um ihn herum versammelte Machtclique zitiert Motive aus Tagen der Bürgerrechtsbewegung, als das Land schon einmal vor einer Bewährungsprobe stand: We Shall Overcomerevisited. Mit wenigen Ausnahmen ist es die Generation der in den Sechzigern Sozialisierten, die sich zu Wort meldet, Young, der Veteran aus Vietnam-Zeiten, der schon damals gegen die Oberen in Washington wetterte, Simon, dessen Werk stets Gospeluntertöne mit sich führte. Die etwas später Geborenen Springsteen und Smith sind Figuren, die das Rock-’n’-Roll-Ethos der Sechziger auf Umwegen namens Punk und Folk verinnerlichten. Allesamt verstehen sie Rockmusik als Idiom der Freiheit, das es gegen Machtmissbrauch und autoritäre Rückbildungen der Demokratie zu bewahren gilt.
Der neue alte Widerstand gegen Bush ist vor allem ein Kampf um Öffentlichkeit. Jahrelang hat man Einschränkungen der Bürgerrechte durch den Patriot Act hinnehmen müssen, wurden unliebsame Titel von den Playlists der Radios gestrichen, jetzt beginnt die Popmusik, das öffentliche Terrain zurückzuerobern. Stolz meldet Youngs Homepage tägliche Erfolge, was den Einsatz von Titeln der neuen CD im Airplay der Sender anbelangt. Kein Zufall auch, dass Living With War, bevor es in die Läden kam, im Internet herunterzuladen war. Das Netz, wiewohl vom Pentagon erfunden, gilt als Medium der Basisdemokratie, in dem die alten Ideale der freien Rede weitergegeben werden – gegen die Macht der großen Medientrusts und Unterhaltungskonzerne.
Erst vor diesem Hintergrund entfalten die popkulturellen Erzählungen vom besseren Amerika ihre Kraft, und auch sie speisen sich aus überlieferten Quellen. Genauer: Sie gehen zur Quelle selbst zurück. Mit seinen Pathosformeln – Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Zivilcourage – rekurriert der Widerstand gegen Bush auf die Gemeinschaft der Freien, die die Vereinigten Staaten der Verfassung gemäß darstellen. Jeder möge sein eigenes Glück verfolgen – solange es dem Gemeinwohl dient. »The invisible republic« nennt die US-Popgeschichtsschreibung dieses Band zwischen Individuen, Young spricht vom »great spirit«. Der große Geist, so die Botschaft, möge das Land aus der Krise führen, möge endlich wieder Einheit schaffen, wo das tiefste Zerwürfnis womöglich seit den Sezessionskriegen, in jedem Fall aber seit Vietnam herrscht.
Beide in Schallplattenform gegossenen Manifeste dieses Protestfrühlings haben etwas von spiritistischen Sitzungen: Eine Schar der Aufrechten versammelt sich jeweils um einen Zeremonienmeister, der weiß, wie man den neuen Bund stiftet – wobei »Boss« Springsteen entschieden subtiler verfährt. Keine Parolen, keine Tagespolitik, keine offenen Anklagen. Einmal ist von Müttern die Rede, die um ihre Söhne weinen, doch handelt sich’s um eine Ballade aus dem 19. Jahrhundert, die ewiges Mutterwissen vermittelt. Springsteen spricht mit den Masken derer, die immer schon für das Land gestritten haben, Leuten wie Old Dan Tucker oder Jesse James. Aus dem amerikanischen Songbook zitierend, stimmt Springsteen das Lied vom kleinen Mann an, der sich in harten Zeiten auf die Probe gestellt sieht und dennoch über die Umstände triumphiert.Young dagegen erweist sich auf seinem Kreuzzug gegen Bush, Tod und Teufel als lupenreiner Gesinnungsästhetiker. Kein Ton, der nicht mit aller Macht verändern will. Wenn die Gitarren geradeaus wie die Präriebüffel vor sich hinrocken, tun sie das nicht im Namen des weltweiten Hedonismus, sondern für das sternengesprenkelte Banner. Und wenn die Trompete ihr Signal gibt, klingt das, als bliese ein himmlischer Heerführer zum letzten Gefecht.
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Spätestens zum Schluss, wo der Chor zu einem reich tremolierenden »America The Beautiful« anhebt, packt europäische Ohren das Gruseln: Man weiß, unsere Verbündeten meinen es nur gut, sie haben nun einmal dieses zivilreligiöse Verhältnis zu ihrer Nation – und doch erinnert das Ganze an eine Kundgebung vom popkulturellen Parteitag. Keep on rockin’ in the free world: Neil Young bleibt, was er schon immer war, ein Volkstribun seines Landes, der stets auch beerbt, was er geißelt.
Die musikalische Einheitsfront spielt popkulturellen Parteitag
Immerhin: Leuten wie ihm ist es zu verdanken, dass die Front der Geläuterten derzeit so breit ist wie nie. Dear Mr. President heißt ein Stück der Sängerin Pink, auf dem sie Bush im Namen der Kinder ins Gewissen redet – Protest für die MTV-Generation. Die punkinspirierte Gender-Theoretikerin Peaches wiederum nennt ihr im Juli erscheinendes Album Impeach My Bush. So viel Rock ’n ’Roll hat den erzkonservativen Fox-News-Kommentator John Gibson ins Grübeln gebracht. »Vielleicht haben wir die Vernunft auf unserer Seite«, dachte er laut nach, »aber sie haben die Rhythmusgruppe und die Leadgitarre.« Sean Wilentz, Professor in Princeton, fragt derweil im amerikanischen Rolling Stone, wer einmal als schlechtester Präsident der Vereinigten Staaten in die Geschichte eingehen wird: Nixon, Andrew Jackson, James Buchanan oder Bush junior. Für Letzteren spricht Wilentz zufolge seine schwer zu toppende Katastrophenbilanz: Krieg nach außen, Gespaltenheit im Innern. »Wenn man ein Lied zum Thema Bush und New Orleans komponieren sollte, es müsste ein Blues werden.«
Den Blues gibt es längst, ebenso das Gegenmittel. Ob das allerdings reicht, um George W. aus dem Amt zu jagen – selbst eingefleischte Bush-Hasser bezweifeln es. Die symbolischen Plebiszite des Pop spielen auf einem anderen Terrain als die offizielle Politik, wo es zwar um Mehrheiten geht, aber auch um Lobbyismus und interne Rechenspiele. Bush selbst hat in den vergangenen Monaten bekanntlich wenig Neigung gezeigt, dem öffentlichen Druck auf seine Regierung nachzugeben, viel zu verlieren hat er ohnehin nicht mehr angesichts seiner auslaufenden Amtszeit. Der Impeachment-Ini tiative des demokratischen Senators Russ Feingold jedenfalls war bislang wenig Erfolg beschieden. Jetzt ruhen die Hoffnungen auf den Kongresswahlen im Herbst. Bis dahin bleibt der Schar der Aufrechten bloß, an Young, Springsteen und die Macht der Lieder zu glauben – und noch etwas näher zusammenzurücken am Küchentisch.
_________________ I Found Living Proof
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