the hitter hat geschrieben:
interessant, dass der song-by-song-review-teil viel positiver [b]ausfällt als die eigentliche kritik.
viel positiver?
"Die letzten anderthalb Jahre waren für Bruce Springsteen und die E Street Band ereignisreich, hatten zum Schluss eine optimistische und eine traurige Note: Der Erfolg des Albums "Magic" und die triumphale Tour wurden kurzzeitig überschattet vom Tod des Organisten Danny Federici. Die Zukunft der Band schien ungewiss. Wie sollte es weitergehen? Springsteen entschied sich für den Optimismus. Sein neues Album "Working On A Dream" sollte das bekräftigen.
Doch es ist eines seiner schwächsten geworden.Natürlich schwingt auf Working On A Dream unweigerlich der Unterton Barack Obamas mit, man denke nur an Bruce Springsteens Wahlkampfunterstützung (kostenlose Auftritte, bei denen auch der Titelsong seine Premiere hatte) und die zeitnahe Veröffentlichung des neuen Albums zur mit historischer Bedeutung aufgeladenen Inauguration des neuen Präsidenten der USA. Aber um Politik(kritik) soll es an dieser Stelle nicht gehen, denn so deutlich wie auf der letzten Platte Magic (2007) wird sich der amerikanische Songwriter wohl nicht mehr zur Lage seiner Nation äußern. Ein übergreifendes musikalisches und lyrisches Motiv, abseits der optimistischen Grundstimmung und dem überstrapaziösen Gebrauch des Wortes "love", fehlt Working On A Dream im Vergleich zum Vorgänger nämlich. Es bleibt einem also nur noch der konventielle, werkimmanente Zugang zur Springsteen'schen Musik. Oder dem, was von ihr übrig geblieben ist. Denn dieses Album, das neunte mit der E Street Band, dürfte für viele Fans eine Enttäuschung sein und Musikversierten nicht nur ein müdes Lächeln abgewinnen, sondern sie auch vollends zum Lachen bringen.
Ein album absurdum mit fadem Nachgeschmack. Geahnt hat man es schon, als das Albumcover im Dezember des letzten Jahres veröffentlicht wurde:
Einen kolorierten Springsteen vor dunkelblauem Kitsch-Hintergrund gab es zu bestaunen. Zunächst wurde über einen weihnachtlichen Spaß spekuliert – kein Wunder angesichts des Nachthimmels, der Mondsichel und Funkelsternchen. So abwegig erscheinen diese Spekulatius-Spekulationen nun gar nicht mehr, wenn man den Fokus auf die Musik lenkt: Wie ein Weihnachtsmann verteilt Springsteen auf seinem Album Zuckerstangen- und Bonbon-Lieder. Eine Hinwendung zum orchestralen Pop war zwar bereits auf Magic vollzogen – aber sie war geglückt. Working On A Dream jedoch wartet mit Pop der irrelevanten Sorte auf, mit partiell banalen Texten, die (wie so oft auf den letzten Alben) in "la la la la"-Chören und repetitiven Zeilen ihren Höhepunkt finden, eingepackt in abgenudelte Melodielinien. Ein Album, das zur Hälfte stilistisch und atmosphärisch an das seichte Let's Be Friends (vom Album The Rising, 2002) angelehnt ist und Dancing In The Dark (von Born In The USA, 1984) – das auch Hörern gefällt, die ansonsten nichts mit Springsteens Musik anfangen können – zu einer musikalischen Großtat erhebt.
Eine Schwachstelle sondergleichen ist die Produktion. Brendan O’Brien, der Haus-und-Hof-Produzent von Pearl Jam (der zuletzt auch an AC/DCs Black Ice Hand anlegte), tut Working On A Dream keinen Gefallen.
Solch ein komprimierter Klangbrei, der sämtliche Differenziertheit vermissen lässt, sterile 90er-Jahre-Gitarren und ein eindimensionaler Schlagzeugsound sind kaum zu ertragen. Es ist bereits das vierte Springsteen-Album, das O’Brien produziert, doch bloß Devils & Dust (2005) kann sich hören lassen, was wohl allein der Tatsache geschuldet ist, dass es vorrangig ein akustisches Soloprojekt ist, das weniger Aufwand am Pult abverlangt. Mit einer Wucht, wie sie die E Street Band mitbringt, kommt O’Brien jedoch nicht zurecht und v
ernichtet sämtliche Dynamik, indem er auf maximale Lautheit setzt. "Gegen Ende der Aufnahmen zu Magic war ich so begeistert von der Rückkehr zur Pop-Produktion, dass ich einfach weiter Songs schrieb. Als Brendan O’Brien die neuen Lieder hörte, sagte er 'Lass uns weitermachen'. Und genau das taten wir dann auch im Verlauf des folgenden Jahres – wir gingen in den Tourpausen mit der Band ins Studio", sagt Springsteen in den Anmerkungen zum Album. V
ielleicht war es ein Schnellschuss, und vielleicht braucht der Songwriter einfach nur eine kreative Pause, veröffentlichte er doch in den letzten vier Jahren auch vier Alben. Ein exklusives Pre-Listening von Working on a Dream findet sich in Kürze auf den Seiten des National Public Radio (NPR): hier entlang!
Das neue Album track by track
Bruce Springsteen
Bruce Springsteen
© Danny Clinch
Outlaw Pete
Man riecht schon förmlich einen Plagiatsvorwurf: KISS hätten allen Grund dazu, diesem Song eine erstaunliche Ähnlichkeit zu I Was Made For Loving You zu unterstellen. Auch bei der Blues-Harp-Melodie scheint sich Springsteen aus Ennio Morricones Fundus bedient zu haben. Mit acht Minuten ist der Song das längste Stück des Albums (sogar das längste der offiziell veröffentlichten seit 1980), und wurde in Sequenzen aufgenommen, dann zusammengefügt. Die
barocken Pop-Einflüsse der Sechziger sind unverkennbar: Staccato-Streicher eröffnen das "Epos light", Orgel- und Gitarren-Fills führen durch die Verse, Tempowechsel unterstreichen den Modulcharakter.
Es bleibt ein Gefühl von Western-Kitsch zurück, obwohl der Song einer der interessantesten langen Tracks seit Frankie ist, mit einem soliden Text und einer typisch Springsteen'schen Schlussnote.
My Lucky Day
Nachdem My Lucky Day als zweites Appetithäppchen nach Working On A Dream erschienen war, wurde vielen die Richtung klar, in die das neue Album gehen sollte:
Beschwingliche, leicht verdauliche Musikkost. Nach dem unkonventionellen Einstieg mit Outlaw Pete bewahrheitet sich die Annahme leider: Mit "Honey, you're my lucky day/ Baby, you're my lucky day/ When I lost all the other bets I made/ Honey, you're my lucky day" schmiert uns Springsteen Honig ums Maul. Vertraute Melodielinien (Piano und Bass) verweisen auf The River (1980) und teilweise auch auf Human Touch/ Lucky Town (1992). Der rockigste und unprätentiöseste Song des Albums.
Working On A Dream
Es bleibt ein Phänomen:
Lieder, die einen vielversprechenden Anfang haben und in Irrelevanz abdriften. Man nehme nur Ruby Tuesday von den Rolling Stones, das von den grandiosen Strophen lebt, denn sobald der Refrain einsetzt, verwandelt sich der moll-getränkte Song in ein Schunkelliedchen.
Solch ein interner Niedergang kann aber schon viel früher beginnen – und das demonstriert Working On A Dream bereits nach 15 Sekunden: Nach dem romatischen Intro, das mit einem wunderbaren Bass-Riff aufwartet und ein wenig an Land Of Hopes And Dreams (von Live In New York City, 2001) erinnert, ist Schluss. Zurück bleibt ein
Schlagerlied mit einem
unglücklich gepfiffenen Solo.Bruce Springsteen
Bruce Springsteen
© Danny Clinch
Queen Of The Supermarket
Und wenn man glaubt, es könne gar nicht schlimmer kommen, überrascht Springsteen mit Kitsch par excellence. [/b]Nun sagt der Songwriter in einem aktuellen Interview selbst, das Lied habe einen Subtext; doch dieser lässt sich bei bestem Willen nicht finden, angesichts von Versen wie "At night I pray for the strength to tell her/ When I love I love I love I love her so." Das Repetitive in diesem Kontext ist als Stilmittel eine bloße Attrappe. Der einzige Trost in dieser
Zuckerwatte aus Streichern, Keyboard und der Grey's-Anatomy-Atmosphäre in den letzten 10 Sekunden ist das Glockenspiel-Intro, das an Be True (Outtake, veröffentlicht auf Tracks, 1998) erinnert.
What Love Can Do
Eine simple Struktur kann so effektiv sein: Rhythmusbetonende Gitarren, ein dominierendes Tamburin und ein dynamischer Basslauf reißen aus der Lethargie heraus. Für Springsteen-Verhältnisse ist What Love Can Do ein ungewohnt modern klingender Song und einer, der kaum enttäuscht, aber Potential nach oben hat.
This Life
Die Anlehnung an die Beach Boys ist unverkennbar: Perkussive Anleihen vom Album Pet Sounds (die auch schon auf Magic auffielen), das melancholische Eingangsriff von den Songs God Only Knows beziehungsweise Feel Flows und "Ba ba ba"-Backgroundgesang.
Ein paar beachtenswerte Akkordwechsel und ein bemühteres Arrangement machen diesen Song weniger vorhersehbar. Die Sechziger sind hier mit Händen greifbar, es fehlt nur noch, dass Springsteen den Titel zu This Boy umbenennt.
Good Eye
Schon auf der Magic-Tour präsentierte Springsteen einen Titel aus seinem Repetoire im gleichen Stil: Reason To Believe (von Nebraska, 1982). Mit einem Bullet-Mikrofon, verzerrtem Gesang und Blues Harp verwandelte er den intimen Song in eine elektrische Blues-Rock-Nummer. Das gleiche Schicksal teilte Ende Oktober A Night With The Jersey Devil. Und nun auch Good Eye.
Diese Art von "Blues" ist eine Persiflage auf sich selbst und an Peinlichkeit nicht zu überbieten.Bruce Springsteen
Bruce Springsteen
© Danny Clinch
Tomorrow Never Knows
Der gleichnamige Song von der LP Revolver der Beatles hat musikalisch (zum Glück) nicht abgefärbt. Das Lied zeigt sich im (Alt)Country/Folk-Gewand mit leichtem Bluegrass-Anklang und ist absolut sättigend: Ein zweites Mal muss man sich die weichgespülten zwei Minuten nicht mehr anhören. Dann doch lieber County Fair (Demo, The Essential, 2003).
Life Itself
Definitiv einer der besten Songs des Albums und atmosphärisch dunkler: "Why do the things that connect us slowly pull us apart/ Till we fall away in our own darkness, stranger to our own hearts". Das rückwärts abgespielte Gitarrensolo ist zwar seit 45 Jahren keine Innovation mehr, aber es schneidet wie ein Messer in die ansonsten sehr dichte, hallige Instrumentierung.
Kingdom Of Days
Wie so oft weckt auch hier das Intro Hoffnungen, die dann endgültig im
Streicher-Schmalz ertränkt werden. Textliche Wiederholungen gibt es ebenso en masse: "I love you, I love you, I love you, I love you..." oder auch "Sing away, sing away, sing away, sing away...".
Surprise, Surprise
Ein Déjà-vu? "Surprise, surprise, surprise, surprise, surprise, surprise", lauten die ersten zwei Verse des, nun ja, gleichnamigen Liedes; ganze 42 Mal wird das Wort gesungen. Bisher hielt die Zeile "Hiding on the backstreets" (Backstreets, vom Album Born To Run, 1975) den Rekord. Textlich geht es (weniger überraschend) um eine Geburtstagsfeier. Das Kuriose an dem Song ist die Tatsache, dass der Backing-Track, übrigens mit einer wunderbaren Orgel, absolut gelungen ist –
man möge sich den Gesang wegdenken, so schwer es auch fällt. Eine nette Hommage an die Sechziger, und im letzten Drittel gar an Roy Orbison.
The Last Carnival
Das Beste kommt zum Schluss – hier bewahrheitet sich ausnahmsweise der Spruch. Der Abschiedssong an Organist Danny Federici, der im April des vergangen Jahres verstorben ist, macht alles richtig: Zu Anfang fängt er den entfernten Boardwalk-Klang ein, bevor die akustische Gitarre und der Gesang einsetzten, sparsam, authentisch: "The thing in you that made me ache is gonna stay".
The Wrestler (Bonus-Track)
Für den gleichnamigen Film mit Mickey Rourke geschrieben und frisch mit einem Golden Globe für den besten Filmsong ausgezeichnet, ist The Wrestler nicht nur zu schade für einen Bonus-Track, er überragt mit seinem einfachen Arrangement sogar fast alle Lieder des Albums bei weitem. Ein großartiger Text und erdiger Klang führen vor Augen, woran es Working On A Dream essenziell mangelt.
Unterm Strich
Bruce Springsteen & The E Street Band
Bruce Springsteen & The E Street Band
© Danny Clinch
Eine neue Facette seines Songwritings wollte Bruce Springsteen auf Working On A Dream präsentieren, doch stattdessen ist es eine Farce geworden. Die einzige Konstante des Albums ist die Orchestrierung, doch der Versuch, den Kompositionen einen Hauch Phil Spector zu verleihen, dort anzuknüpfen, wo Magic aufgehört hat, scheitert. Es gibt kein weiteres Your Own Worst Enemy oder You'll Be Coming Down, ganz im Gegenteil punkten eher die Songs, die einen simplen Ansatz haben:
The Last Carnival, Life Itself, What Love Can Do. This Life und – rein musikalisch betrachtet – sogar Surprise, Surprise kann man zu den besseren Titeln zählen. Ironischerweise hat ausgerechnet der Bonus-Track The Wrestler das Potenzial, alle anderen Songs des Albums auszustechen. Springsteen hat auf seinen Alben immer mal wieder belanglose Lieder eingestreut: Crush On You, I Wanna Marry You, I'm A Rocker, Cover Me, Waiting On A Sunny Day, Girls In Their Summer Clothes (um nur einige zu nennen) – aber niemals waren diese so geballt wie auf dem aktuellen.
Springsteen selbst wird auf ewig seine größte Konkurrenz bleiben. Seine besten Alben kennen nur wenige: The Wild, The Innocent & The E Street Shuffle, Born To Run, Greetings From Asbury Park, Nebraska... Springsteen als Chronist und Kritiker des systematischen Scheiterns des amerikanischen Traums, ein Erzähler, der den politischen und historischen Kontext nicht außer Acht lässt, bleibt für viele im Verborgenen. Diejenigen, die Kosten und Mühen auf sich genommen haben, um ihre Freunde davon zu überzeugen, dass der Springsteen'sche Musikkosmos nicht nur auf Born In The USA basiert, werden mit der aktuellen Veröffentlichung um Lichtjahre zurückgeworfen. Vor dem Hintergrund dessen beginnt man den Doppelfehlschlag Human Touch/ Lucky Town (1992) nun in einem ganz anderen Licht zu sehen. Das Album ist eine Steilvorlage für alle Kritiker, die Springsteen jahrelang nur müde belächelt, ihn mit Pathos und Mainstream à la Joe Cocker gleichgesetzt haben.
Dem 59-Jährigen angesichts des hohen Kitschfaktors Altersmilde zu unterstellen wäre fatal. Jedoch machen andere vor, wie man es richtig anstellt:
Paul McCartney, Van Morrison und vor allem auch Randy Newman liefern noch immer hohe Qualität. Es bleibt die Hoffnung, dass Springsteen für die neuen Songs ein adäquateres Live-Arrangement für die E Street Band findet, denn
bis jetzt klingt alles wie ein böser Albtraum. Is a dream a lie if it don't come true? Or is it something worse?
Das deckt sich ja fast mit meiner Kritik