Erste Rezi:
"U2 - No Line On The Horizon
Review von Gernot Schödl (
www.tribu2.at)
Eine Rezension über ein U2-Album zu schreiben, nachdem man dieses einmal gehört hat, ist vermutlich wie die Quadratur des Kreises zu versuchen. Daher nachfolgend vielmehr ein paar persönliche Eindrücke eines Menschen, der eine nicht unwesentliche Zeit seines Lebens damit verbracht hat, die Musik der vier Ir(ren) nach allen Spielregeln der Kunst zu analysieren.
"No Line On The Horizon" ist wie, klingt nach, erinnert an...GAR NICHTS was U2 bislang gemacht haben. Auch nicht "Achtung Baby", was für viele Fans eventuell enttäuschend sein mag, haben doch viele Spekulationen im Vorfeld des Albums darauf hingedeutet, dass U2 an ihr Meisterwerk aus den frühen 90ern anschließen würden. NLOTH gefällt beim ersten Anhören nicht, und das ist wohl die erfreulichste Nachricht, alles andere wäre eine Enttäuschung gewesen. "Hits"? Sicher gibt es auch, augenscheinlich fallen jedoch nur 2-3 Songs auf diesem Album in diese Schublade, der Rest wartet sehnsüchtigst darauf entdeckt zu werden. Und das ist gut so.
No Line On The Horizon
Grunge, Hardrock, Metal usw., all dies wurde im Vorfeld assoziiert, fiele mir jedoch nicht spontan zu dieser Nummer ein. Freilich lebt sie von schiebenden 16teln von Gitarre und Bass, für U2-Verhältnisse mag das wohl hart klingen. In Wahrheit handelt es sich auch hierbei um eine (über)produzierte Nummer, bei der Bono einmal mehr in die höchsten Register abhebt, um dort seine Seele baumeln zu lassen. Die schiebenden Strophen münden nahtlos in einen ruhigeren Refrain, der mehrstimmig gesungen den Ruhepol des Liedes bildet. Mit Ausnahme einer kurzen Coda besteht das Lied nur aus Strophen und Refrains, eingebettet in jede Menge Elektronik. Brian Eno hat seine Handschrift schon beim ersten Song hinterlassen, und wird dies auch später noch des öfteren tun.
Magnificent
Auch keine Überraschung mehr - das ist der "Ohrwurm" des Albums und definitv eine Single. Dieser Song sitzt auch schon nach dem ersten Mal Hören im Ohr und besticht durch einen großen Refrain ("Only love can leave such a mark"). Beginnt er noch mit sanften Synthiesounds, entwickelt er sich doch rasch zu einer fast schon vertraut wirkenden U2-Hymne. Irgendwie kennt man dieses Lied, obwohl man es noch nicht gehört hat. Liegt es ev. daran, dass man die Gitarrenmelodie des Refrains schon aus "Million Dollar Hotel" kennt? Ja, Daniel Lanois hat auf diesem Song definitiv mitgemischt. Er wird seinen Platz wohl neben all den anderen U2-Klassikern einnehmen. Ein kurzer instrumentaler Zwischenteil, dann ein kurzes Slide-Guitar Solo, ansonsten dominiert das altbewährte Strophe-Refrain Schema. Auch hier gilt das Motto - weniger ist mehr. Und mehr braucht es nicht für einen großen U2-Song. Freuen wir uns schon jetzt darauf, diesen live zu hören...!
Moment Of Surrender
Hier spielt Brain Eno, und U2 spielen mit. Passengers Teil 2? Nein. Adams Basslinie, Bonos Soulstimme, die vereinzelt wieder in unsingbare Höhen abdriftet, und große Chöre machen diese Nummer zu einem Soulexperiment der Extraklasse, die ganz klar Eno's Handschrift trägt. Spannend, wie beim ganzen Album wird sein, wie die Chöre live umgesetzt werden. Ein kurzer instrumentaler Zwischenteil, ein kurzer Versuch eines Blues-Solos, ansonsten - Soul meets Elektonik. Mehr ist dazu wohl nicht zu sagen, sondern nur zu hören.
Unknown Caller
War bislang das prägnante Gitarrenspiel von The Edge nicht zu entdecken, so hören wir bei dieser Nummer erstmals die allzu vertraut klingende Delay-Gitarre. Auch das ist ein Markenzeichen des neuen Albums, wer auf gewohnte Signature-Sounds von Gitarren Seite wartet, wird diese zumindest nicht flächendeckend finden. Eher sporadisch eingesetzt, dann aber prägnant wie bei dieser Nummer, die insbesondere durch ihren punktierten Refrain besticht, den Insider schon aus Daniel Lanois' Film "Here is what is" kennen, und der in den Fez-Sessions entstanden ist. Auch hier sind wieder mehr als 2 Stimmen am Werk, wenn auch nicht mehrstimmig. Stark auch der Beginn des Songs, der einem den Sonnenaufgang quasi vor Augen führt. Auch hier zeigt sich wieder die Stärke des Produzententeams, durch die Musik Bilder in den Köpfen des Hörers hervorzurufen, etwa wenn Bono singt "I was lost between the midnight and the dawning.". Alles in allem ein toller Song, der mit einem großen Outro inkl. Kirchenorgel und einem minimalistsichen Gitarrensolo endet.
I'll go crazy if I don't go crazy tonight
Wenn man auf dem Album Singleauskoppelungen suchen muss, dann findet man hier eine weitere potentielle. Ein gefälliges Lied, aber dennoch nicht banal, mit einem einprägsamen Refrain. Wir werden dieses also vermutlich in einem Video sehen und im Radio hören können. Auffallend die Coda, die etwas an Polka bzw. sonst Tanzbares erinnert. U2 und Polka? Nein, keine Sorge, aber definitiv eine der eingängigsten Nummern des Albums.
Get on your boots
Die einen hassen sie, die anderen lieben sie - zumindest fast alle kennen sie. Auf die Liveumsetzung darf man auch hier gespannt sein, lebt die Nummer doch von den perkussiven Elementen, insbesondere während der Strophen. Ja, U2 haben sich mit dieser Nummer als Singleauskoppelung etwas getraut. Und vermutlich mit Absicht. The Fly hat ein Zeichen gesetzt, und Boots tut das ebenso, wenn auch ein ganz anderes.
Stand up comedy
Ein Highlight des Albums. Warum? Weil man so etwas von U2 definitv noch nicht gehört hat. 70er Rock, Musical-Nummer im Stile von "Hair", sogar ein kleiner Hauch von Funk...alles Attribute, die man nicht zwingend mit U2 verbinden würde, die hier aber jedenfalls zutreffen. Die Nummer rockt und sollte live ein Hammer werden. Hervorgehoben werden muss auch die Textzeile "Stop helping god across the road like a little old lady". Was uns Bono damit wohl sagen will?
Fez - being born
Viel Elektronik zu Beginn, und Referenzen zu anderen Songs des Albums (z.B. "Let me in the sound" von GOYB). Die Nummer besticht durch eine rollenden Beat und cooles Programming. Auch hier hat sich Meister Eno wohl intensiv einbringen dürfen, und das macht Spaß. Definitiv ein innovativer Song mit großem Potential.
White as snow
So ist draußen die Winterlandschaft, und in kalten Zeiten geht man am Besten ins warme Bett. Dort fühlt sich der Zuhörer auch augenblicklich hineinversetzt. Eine Nummer zum Schlafen, in Anlehnung an das nichtssagende "One Step Closer" des letzten Albums. Gute Nacht.
Breathe
Bono beim Versuch nicht nach Bono zu klingen. Ob das gut geht? Ein wenig Stones, ein wenig frühe REM, ein wenig...nicht Bono jedenfalls. Ah ja, hier war sie wieder die Gitarre, die man bei einigen Nummern dann fast schon vermisst hat. Hier ist sie wieder dominant da, wenn auch nicht im vertrauten Stil. U2 beim Versuch sich einmal mehr zu erfinden ("Every day I die again, and again I'm reborn)".
Cedars Of Lebanon
Ein Highlight des Albums und ein starker Closer. Auch hier wieder Bono, der nicht nach Bono klingen will, was ihm hier aber deutlich besser gelingt als auf Breathe. Eine ruhige Nummer, die den Zuhörer in eine eigene Welt entführt. Das "Grace" des Albums, wenn auch um einiges vielschichtiger.
Für das ganze Album gilt - ein großer Augenmerk wurde auf die Arrangements der Songs gelegt. Spannend bleibt, wie die Live-Umsetzung der durchwegs aufwendig instrumentierten und arrangierten Songs erfolgen wird.
Fazit:
Ein Fazit über ein U2-Album zu schreiben, nachdem man dieses einmal gehört hat, ist vermutlich wie die Quadratur des Kreises zu versuchen. Daher abschliessend vielmehr die persönliche Meinung eines Menschen, der eine nicht unwesentliche Zeit seines Lebens damit verbracht hat, die Musik der vier Ir(ren) nach allen Spielregeln der Kunst zu analysieren: Es wird spannend, diese Songs live zu hören. Um das zu reproduzieren, was sie da geschaffen haben, wird es mehr brauchen, als vier Musiker und ihre Instrumente. Was bleibt ist das Gefühl, sich auf die Songs zu freuen, obwohl sie nach dem ersten Hören nicht begeistern. Ein gutes Gefühl.
Gernot Schödl
www.tribu2.at"
..und ein fantastisches Filmdokument (Teil 1) :
http://www.guardian.co.uk/theobserver/v ... he-horizon