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BeitragVerfasst: 29.09.2008 14:15 
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Mr_Highriser hat geschrieben:
Aber das Buch ist nicht so angelegt, dass nur die Natur, nur die unzivilisierte Insel außerhalb der britischen Hemisphäre als wild und grausam angesehen wird, sondern der Mensch an sich.


Und wie hört der Mensch auf, grausam zu sein? Dadurch, dass er in einem System lebt, dass sich so der durchschnittliche Brite als Zivilisation vorstellt. Golding fabriziert Klischees von "Wilden" und "Zivilisation", die identisch mit den Vorstellungen des Britischen Empires sind. Das kann man bei der Interpretation des Romans doch nicht ignorieren! Mal abgesehen davon, dass diese der Hobbes'schen Philosophie (Hobbes war ja - so ein Zufall - auch Brite) zugrunde liegender Vorstellungen von der bösen Natur des Menschens naiv ist, aber das würde jetzt zu weit führen.

Zitat:
Denn er sagt in Bezug auf das "Beast" vor welchem alle Kinder Angst haben, dass das wahre Beast kein Tier sei, sondern dass er Menschen sieht, wenn er an das Beast denkt.


Ja, aber das hat was mit dem philosophischen Aspekt des Romans zu tun, den Menschen als von Natur aus Böse, der durch die Zivilisation "gut gemacht" werden muss. Das ist wie gesagt, eine naive Vorstellung - und auch ein bisschen selbstgefällig der eigenen Zivilisation gegenüber.

Zitat:
Übrigens: Auch die Bundeskanzlerin hat ein freies und kein imperatives Mandat. Nur weil Ralph die Entscheidungen trifft ist er kein Absolut.


Aber sie hat nicht mehr Rechte als der normale Bürger, Ralph schon. Ralph definiert sich selbst als jemand, der gegen eine der grundlegenden Regeln des Systems (dem Dazwischenreden, wenn jemand anderes die Muschel hat) verstoßen darf. Das wäre in diesem Vergleich etwa so, als müsste sich die Kanzlerin nicht an das Grundgesetz halten.

Zitat:
Und wie ich oben erläutert habe, ist der Faschismus keine ausgeburt des Zulu oder der unzivilisierten Insel, sondern des Briten Jack.


Der Roman handelt aber vom "Verwildern", dem "Entzivilisieren" des Menschen. Also quasi der zivilisierte Engländer, der sich nach einer Weile außerhalb der Zivilisation wie ein wilder Zulu verhält. Jack verhält sich ja mehr und mehr wie das Klischee eines Stammeshäuptlings, mit merkwürdigen Ritualen und allem, er handelt nicht einfach nur unmoralisch, er verhält sich in einer Weise, die britische Kolonialherrscher glaubten, dass sich Zulus oder ähnliche Volksgruppen verhielten.


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BeitragVerfasst: 29.09.2008 21:38 
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Zitat:
Ja, aber das hat was mit dem philosophischen Aspekt des Romans zu tun, den Menschen als von Natur aus Böse, der durch die Zivilisation "gut gemacht" werden muss. Das ist wie gesagt, eine naive Vorstellung - und auch ein bisschen selbstgefällig der eigenen Zivilisation gegenüber.

Der Mensch wird durch die Zivilisation nicht gut gemacht. Das sagt auch Hobbes nicht. Der Mensch erlegt sich selbst Regeln auf, um sein Überleben zu sichern. Er wird dadurch nicht gut. Und das sagt auch Golding nicht. Durch Ralphs System (falls es sich durchgestzt hätte) wäre es nicht zu Tod und Chaos gekommen. Das hat nichts damit zu tun, dass Ralph besonders gut ist, sondern es liegt an dem System. Golding geht ja auch davon aus, dass Ralph (obwohl zivilisiert) böse ist. Es ist eben das Hobb'sche Menschenbild. Aber das System ändert den Menschen nicht, es formt lediglich das Zusammenleben.

Zitat:
Aber sie hat nicht mehr Rechte als der normale Bürger, Ralph schon. Ralph definiert sich selbst als jemand, der gegen eine der grundlegenden Regeln des Systems (dem Dazwischenreden, wenn jemand anderes die Muschel hat) verstoßen darf. Das wäre in diesem Vergleich etwa so, als müsste sich die Kanzlerin nicht an das Grundgesetz halten.

Ich habe ja bereits erwähnt, dass Ralph ein schwacher demokratischer Führer hat, weswegen er u.a. auch scheitert. Außerdem spielt dies auch keine Rolle. Ralph ist längst kein autoritärer Herrscher. Unter ihm haben die Kinder Freiheiten, es kommt weder zu Hass noch zu Tod und Vernichtung. Außerdem wird jede Meinung berücksichtigt. Der Kontrast dazu ist eben Jack. Der demokratische Charakter ist sicherlich nicht vollkommen, aber Ralphs System weist demokratische Elemente auf, Jacks hingegen faschistische.

Zitat:
Der Roman handelt aber vom "Verwildern", dem "Entzivilisieren" des Menschen. Also quasi der zivilisierte Engländer, der sich nach einer Weile außerhalb der Zivilisation wie ein wilder Zulu verhält. Jack verhält sich ja mehr und mehr wie das Klischee eines Stammeshäuptlings, mit merkwürdigen Ritualen und allem, er handelt nicht einfach nur unmoralisch, er verhält sich in einer Weise, die britische Kolonialherrscher glaubten, dass sich Zulus oder ähnliche Volksgruppen verhielten.


Dass er sich wie ein wilder Zulu verhält sagst du und nicht Golding. Auf einer einsamen Insel ist es sicherlich schwer, sich ein Maschinengewehr und eine Uniform zu besorgen. Aber Speer und Kriegbemalung erfüllen hier den gleichen Zweck. Die äußeren Umstände machen es wohl kaum möglich, sich wie ein SS Soldat zu verhalten.
Es kann auch sein, dass die Briten glaubten, dass sich Zulus so verhalten. Aber das liegt dann an der Unwissenheit des (britischen) Lesers, wenn er es in dieser Art und Weise interpretiert. Golding stellt nie die Verbindung Unzivilisiert - Zulu her. Es ist doch durchaus objektiv zu sagen, dass Jack sich unzivilisiert und autoritär verhält. Wenn sich deiner Meinung nach ein Zulu auch so verhält, dann bitte...


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BeitragVerfasst: 30.09.2008 09:18 
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Mr_Highriser hat geschrieben:
Golding geht ja auch davon aus, dass Ralph (obwohl zivilisiert) böse ist. Es ist eben das Hobb'sche Menschenbild.


Und schon zu Goldings Zeiten war dieses naiv-religiöse Menschenbild längst überholt. Hobbes ist doch bloß ein Schullehrerphilosoph, ein Schreibtischtäter, der seine Philosophie auf den Klischees von Zivilisation und "Wilden" aufbaute, die mit der Realität nichts zu tun haben.

Zitat:
Ralph ist längst kein autoritärer Herrscher. Unter ihm haben die Kinder Freiheiten, es kommt weder zu Hass noch zu Tod und Vernichtung. Außerdem wird jede Meinung berücksichtigt. Der Kontrast dazu ist eben Jack. Der demokratische Charakter ist sicherlich nicht vollkommen, aber Ralphs System weist demokratische Elemente auf, Jacks hingegen faschistische.


Das mag ja alles sein, aber Ralphs System ist nicht demokratisch, sondern eher eine parlamentarische Monarchie, das hab ich Dir jetzt sogar an Textstellen belegt. Ich weiß nicht, wie man darauf so hartnäckig beharren kann. Weil es ein paar frühe Interpretatoren des Feuilleton (die aber rein gar nichts von politischer Theorie verstanden haben) gemacht haben und es heute, Jahrzehnte danach, bei Wikipedia zu quasi Allgemeinwissen geworden ist? Sofern man Ralphs Wahl zu Beginn und die Meinungsfreiheit (die ja außerdem nicht per se nur in demokratischen Systemen möglich ist) nicht krampfhaft überbewertet, ist die These vom demokratischen System anhand des Textes schlicht nicht haltbar.

Zitat:
Dass er sich wie ein wilder Zulu verhält sagst du und nicht Golding. Auf einer einsamen Insel ist es sicherlich schwer, sich ein Maschinengewehr und eine Uniform zu besorgen. Aber Speer und Kriegbemalung erfüllen hier den gleichen Zweck. Die äußeren Umstände machen es wohl kaum möglich, sich wie ein SS Soldat zu verhalten.
Es kann auch sein, dass die Briten glaubten, dass sich Zulus so verhalten. Aber das liegt dann an der Unwissenheit des (britischen) Lesers, wenn er es in dieser Art und Weise interpretiert. Golding stellt nie die Verbindung Unzivilisiert - Zulu her. Es ist doch durchaus objektiv zu sagen, dass Jack sich unzivilisiert und autoritär verhält. Wenn sich deiner Meinung nach ein Zulu auch so verhält, dann bitte...


Golding zeichnet ein Bild des "Unzivilisierten", das exakt dem Klischee entspricht, das man im britischen Empire von den angeblich unzivilisierten indigenen Völkern (die Zulus waren in diesem Zusammenhang nur ein Beispiel) hatte. Golding kann da nicht aus seiner (britischen) Haut, für ihn sind Stammesgesellschaften unzivilisiert und daher böse, Zivilisation ist das britische System. Ich weiß jetzt wirklich nicht, was an dieser Interpretation des Herrn der Fliegen so schwer zu begreifen ist, dass ich das jetzt schon zum x-ten Mal schreiben muss? Warum musst Du den Text so heillos verklären?


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BeitragVerfasst: 30.09.2008 11:34 
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Zitat:
Und schon zu Goldings Zeiten war dieses naiv-religiöse Menschenbild längst überholt. Hobbes ist doch bloß ein Schullehrerphilosoph, ein Schreibtischtäter, der seine Philosophie auf den Klischees von Zivilisation und "Wilden" aufbaute, die mit der Realität nichts zu tun haben.


Ich glaube eher die Philosophie vom Edlen Wilden ist überholt und damit auch das Rousseausche Menschenbild. Fakt ist aber auch, dass ein System nach Hobbes nicht funktioniert hat (z.B. der Absolutismus). Das liegt aber nicht an dem falschen Menschenbild, sondern an der fehlenden Legitimation der Herrschaft. Die Herrschaft des Leviathan ist nur so lange legitimiert, solang die Menschen in ihrem Überleben gefährdet sind (denn dieser Zustand führt zur Schaffung des Leviathan). Stellt der Leviathan jedoch Frieden her, sehen die Menschen keine Existenzberechtigung mehr für ein Gewaltmonopol, welches sie dermaßen einschränkt und es kommt zum Aufstand gegen den Leviathan.
Aus diesem Grund wird in Orwells 1984 z.B. auch die ganze Zeit ein fiktiver Krieg aufrechterhalten, um die Herrschaft des Systems zu legitimieren.

Zitat:
Das mag ja alles sein, aber Ralphs System ist nicht demokratisch, sondern eher eine parlamentarische Monarchie, das hab ich Dir jetzt sogar an Textstellen belegt. Ich weiß nicht, wie man darauf so hartnäckig beharren kann. Weil es ein paar frühe Interpretatoren des Feuilleton (die aber rein gar nichts von politischer Theorie verstanden haben) gemacht haben und es heute, Jahrzehnte danach, bei Wikipedia zu quasi Allgemeinwissen geworden ist? Sofern man Ralphs Wahl zu Beginn und die Meinungsfreiheit (die ja außerdem nicht per se nur in demokratischen Systemen möglich ist) nicht krampfhaft überbewertet, ist die These vom demokratischen System anhand des Textes schlicht nicht haltbar.


Das oben genannte Dilemma widerfährt auch Ralph (wenngleich der kein asboluter Leviathan ist aber eben doch der Träger der "Staatsgewalt"), da er es nicht schafft die Kinder von seinem System zu überzeugen. Ob sein System jetzt eine Demokratie oder eine parlamentarische Demokratie ist, ist doch Haarspalterei. Was zählt ist doch, dass Ralphs System um einiges humaner und auch besser ist, als Jacks. Selbst wenn Ralphs System keine reine Demokratie ist (was ich durchaus einsehe), gibt es dort diverse Partizipationsmöglichkeiten, Rechte, Achtung vor anderen, Meinungsfreiheit etc. Und das interessante ist, warum dieses System zu Grunde geht.

Zitat:
Golding zeichnet ein Bild des "Unzivilisierten", das exakt dem Klischee entspricht, das man im britischen Empire von den angeblich unzivilisierten indigenen Völkern (die Zulus waren in diesem Zusammenhang nur ein Beispiel) hatte. Golding kann da nicht aus seiner (britischen) Haut, für ihn sind Stammesgesellschaften unzivilisiert und daher böse, Zivilisation ist das britische System. Ich weiß jetzt wirklich nicht, was an dieser Interpretation des Herrn der Fliegen so schwer zu begreifen ist, dass ich das jetzt schon zum x-ten Mal schreiben muss? Warum musst Du den Text so heillos verklären?


Du kannst doch nicht sagen, dass für Golding Stammesgesellschaften böse sind. Für Golding sind alle Menschen böse und die Zivilisation macht sie auch nicht gut. Die Zivilisation sorgt nur dafür, dass sich die Menschen selbst Regeln auferlegen, sich ein System schaffen, in dem ein geordnetes Zusammenleben möglich ist. Ziviliserte Menschen sind aber keinesfalls besser als unzivilisierte.
Was Golding mit Jacks verhalten dastellen will, ist doch eine primitive Form von Faschismus. Er will keineswegs einen wilden Zulu oder sonst irgendwen porträtieren. Du verklärst die Symbolik des Buches. Wenn Jack oder Roger Steine vom Berg werfen, wird von "Bomben" gesprochen. Außerdem findet der Plot doch vor dme Hintergrund eines Atomkrieges statt, was doch kein Zufall ist. Goldingt zeigt dem Leser zuerst die äußeren Umstände: Ein Atomkrieg. Und erläutert er anhand des Mikrokosmos der Insel wie scheinbar gefestigte Systeme ins Wanken geraten, der Faschismus die Oberhand gewinnt und es zu Tod und Vernichtung kommt. Jacks verhalten, seine Kriegbemalung seine Rituale, seine Waffen sind doch eine Metapher für etwas Größeres, oder glaubst du der Zulu hat den Atomkrieg angezettelt?


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BeitragVerfasst: 30.09.2008 12:59 
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Mr_Highriser hat geschrieben:
Ich glaube eher die Philosophie vom Edlen Wilden ist überholt und damit auch das Rousseausche Menschenbild.


Wer spricht denn vom "Edlen Wilden"? Ich zumindest hab das nirgendwo erwähnt. Das ist selbstverständlich auch eine naive Vorstellung. Aber es ist symptomatisch, dass Kritik an einem Weltbild so ausgelegt wird, als würde man dem Weltbild in das andere Extrem anhängen, als wenn es nur die zwei Möglichkeiten gäbe, der von Natur aus böse Mensch oder der Edle Wilde, so als würde jemand der Rechtsradikalismus kritisiert, automatisch zum Linksradikalen werden, ohne dass es da noch irgendeine dritte (oder gar noch mehr) Möglichkeiten gäbe.

Zitat:
Ob sein System jetzt eine Demokratie oder eine parlamentarische Demokratie ist, ist doch Haarspalterei.


Nein, es ist ganz entscheidend, dass Ralph ein System verfolgt, dass nahezu identisch mit dem des britischen ist. Das ist einer der zentralen Punkte des Romans, wenn man sich zugesteht, ihn auch kritisch interpretieren zu dürfen.

Zitat:
Was zählt ist doch, dass Ralphs System um einiges humaner und auch besser ist, als Jacks.


Stimmt, und Golding erklärt damit, warum das (aus seiner Sicht) eigentlich viel humanere, bessere britische System in den Kolonien nicht funktioniert hat. Du musst Dir doch auch mal vor Augen halten, dass Golding in einer Zeit sozialisiert wurde, da England nach Verlust der Kolonien in eine nationale Identitätskrise gerutscht ist. Der Herr der Fliegen gibt dafür eine Erklärung, die nicht systembedingt ist und den Briten damit ihre nach den massiven Machtverlust infrage gestellte Identität zurück.

Zitat:
Selbst wenn Ralphs System keine reine Demokratie ist (was ich durchaus einsehe), gibt es dort diverse Partizipationsmöglichkeiten, Rechte, Achtung vor anderen, Meinungsfreiheit etc.


Ja, aber es ist auch eine durch unsere Sozialisierung geprägte falsche Vorstellung, dass all diese Dinge in einem anderen System als der Demokratie nicht denkbar wären. Monarchien waren ja keine rechtslosen Gebilde, selbst absolute nicht (von denen ich aber hier eigentlich gar nicht spreche, eine absolute Herrschaft ist Ralphs sicher nicht.)

Zitat:
Du kannst doch nicht sagen, dass für Golding Stammesgesellschaften böse sind. Für Golding sind alle Menschen böse und die Zivilisation macht sie auch nicht gut. Die Zivilisation sorgt nur dafür, dass sich die Menschen selbst Regeln auferlegen, sich ein System schaffen, in dem ein geordnetes Zusammenleben möglich ist. Ziviliserte Menschen sind aber keinesfalls besser als unzivilisierte.


Hab ich auch so nicht gesagt, nur, dass Goldings Bild von dem was "unzivilisiert" (und damit "böse") ist, dem Klischee des Zulus im "Busch" entspricht, den man im britischen Empire pflegte.

Zitat:
Und erläutert er anhand des Mikrokosmos der Insel wie scheinbar gefestigte Systeme ins Wanken geraten, der Faschismus die Oberhand gewinnt und es zu Tod und Vernichtung kommt. Jacks verhalten, seine Kriegbemalung seine Rituale, seine Waffen sind doch eine Metapher für etwas Größeres, oder glaubst du der Zulu hat den Atomkrieg angezettelt?


Nein, aber die faschistischen Verhaltensmuster von Jack entsprechen dem Klischee des "Wilden". Golding erklärt die Entwicklung des Faschismus also mit dem Verfall in einen ungebändigten, "wilden" Naturzustand, der durch "sein System" gebändigt werden muss. Das ist - und ich weiß wirklich nicht, wie man das anders sehen soll - dasselbe Denkschema, das die Briten gegenüber ihren Kolonialreichen hatten.


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BeitragVerfasst: 30.09.2008 13:08 
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BeitragVerfasst: 30.09.2008 16:54 
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Zitat:
Wer spricht denn vom "Edlen Wilden"? Ich zumindest hab das nirgendwo erwähnt. Das ist selbstverständlich auch eine naive Vorstellung. Aber es ist symptomatisch, dass Kritik an einem Weltbild so ausgelegt wird, als würde man dem Weltbild in das andere Extrem anhängen, als wenn es nur die zwei Möglichkeiten gäbe, der von Natur aus böse Mensch oder der Edle Wilde, so als würde jemand der Rechtsradikalismus kritisiert, automatisch zum Linksradikalen werden, ohne dass es da noch irgendeine dritte (oder gar noch mehr) Möglichkeiten gäbe.

An welches Menschenbild glaubst du denn?

Zitat:
Nein, es ist ganz entscheidend, dass Ralph ein System verfolgt, dass nahezu identisch mit dem des britischen ist. Das ist einer der zentralen Punkte des Romans, wenn man sich zugesteht, ihn auch kritisch interpretieren zu dürfen.


Ist Großbritannien keine Demokratie? Das Könighaus hat doch sowieso nur repräsentative Zwecke, wie hierzulande der Bundespräsident. Großbritannien hat die wohl älteste demokratische Geschichte in Europa (wenn man die Neuzeit betrachtet). Ein System welches du als "britisches" beschreibst ist wohl eher das vor der Magna Charta und der Bill of Rights.

Zitat:
Stimmt, und Golding erklärt damit, warum das (aus seiner Sicht) eigentlich viel humanere, bessere britische System in den Kolonien nicht funktioniert hat. Du musst Dir doch auch mal vor Augen halten, dass Golding in einer Zeit sozialisiert wurde, da England nach Verlust der Kolonien in eine nationale Identitätskrise gerutscht ist. Der Herr der Fliegen gibt dafür eine Erklärung, die nicht systembedingt ist und den Briten damit ihre nach den massiven Machtverlust infrage gestellte Identität zurück.


Sicherlich ist Großbritannien aufgrund des Verlusts des Empires in eine Identitätskrise gestürtzt, die doch immer noch anhält. Der Verlust Hongkongs hat sicherlich dazu beigetragen. Der Verlust der roten Telefonzellen und der schwarzen Cabs stimmt die britische Seele auch nicht gerade ruhiger.
Selbst wenn es so wäre, wie du sagst, dass das Buch schildert, warum das britische System in den Kolonien nicht funktioniert hat, so ist es doch keine Rechtfertigung und Lobpreisung des britischen Kolonialismus. Vielmehr geht es doch mit diesem kritisch um und hält den Briten eigene Führungsschwäche vor. Aber es ist doch auch so, dass das britische Empire nicht durch Wildnis und Chaos abgelöst wurde, sondern durch Demokratien (Autsralien, Kanada, Indien, Neuseeland,..) die in den Commonwealth eingegliedert wurden und vielfach gleiche Prinzipien haben (hinsichtlich Menschenrechten etc.) wie Großbritannien. Du tust ja geradezu so, als hätte das Ende der britischen Kolonialherrschaft eine Welle von Zerstörung und Chaos nach sich gezogen.
Du musst auch bedenken, dass Golding SOldat im zweiten Weltkrieg war und sich sicherlich die Frage gestellt hat, wie es zum Erstarken des 3. Reiches und dieser Idee kam.

Zitat:
Hab ich auch so nicht gesagt, nur, dass Goldings Bild von dem was "unzivilisiert" (und damit "böse") ist, dem Klischee des Zulus im "Busch" entspricht, den man im britischen Empire pflegte.


Das ist wahr, nur hat das nichts damit zu tun, dass das Buch eine Rechtfertigung britischer Kolonialherrschaft ist.

Zitat:
Nein, aber die faschistischen Verhaltensmuster von Jack entsprechen dem Klischee des "Wilden". Golding erklärt die Entwicklung des Faschismus also mit dem Verfall in einen ungebändigten, "wilden" Naturzustand, der durch "sein System" gebändigt werden muss. Das ist - und ich weiß wirklich nicht, wie man das anders sehen soll - dasselbe Denkschema, das die Briten gegenüber ihren Kolonialreichen hatten.


Wer das Buch so verstehen will, der kann es sicherlich auch so verstehen. Aber die Intention des Buches ist doch nicht die Rechtfertigung des britischen Kolonialismus. Das Buch ist doch vielmehr ein Appell, für Demokratie zu kämpfen, sie zu stützen und zu zeigen und wie wichtig Erziehung in diesem ZUsammenhang ist. Man kann es sicherlich mit britischem Kolonalismus in Verbindung bringen, aber dann versteht man das Buch falsch oder will es falsch verstehen.


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BeitragVerfasst: 30.09.2008 18:24 
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Mr_Highriser hat geschrieben:
Das Buch ist doch vielmehr ein Appell, für Demokratie zu kämpfen, sie zu stützen und zu zeigen und wie wichtig Erziehung in diesem ZUsammenhang ist.


Und damit kommen wir dann zum Anfang der Diskussion zurück: wenn das alles so ist/wäre, wieso werden sie dann ausgerechnet von einem britischen Militärschiff gerettet? Warum nicht von einem Handelsschiff? Warum nicht von einer anderen Nation? Warum ein britisches Militärschiff, das Symbol der britischen Kolonialherrschaft?


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BeitragVerfasst: 30.09.2008 19:50 
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Geronimo hat geschrieben:
Prima..."Das literarische Duett" :mrgreen:


der war gut Geronimo, weiter so...
aber hat doch was, bei mir liegt das Buch seit
2 Tagen auch wieder in Reichweite. Mal sehen wem
ich eher zustimme...


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BeitragVerfasst: 30.09.2008 20:24 
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Limbus hat geschrieben:
Geronimo hat geschrieben:
Prima..."Das literarische Duett" :mrgreen:


der war gut Geronimo, weiter so...
aber hat doch was, bei mir liegt das Buch seit
2 Tagen auch wieder in Reichweite. Mal sehen wem
ich eher zustimme...



Ich mußte es in der Schule lesen und es hat mich Jahre meines Lebens gekostet :roll: . Vlt. pack ich es irgendwann noch mal an..müßte noch irgendwo rumliegen....aber gute Erinnerung hab ich nicht daran. :?


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BeitragVerfasst: 30.09.2008 21:08 
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Geronimo hat geschrieben:
Limbus hat geschrieben:
Geronimo hat geschrieben:
Prima..."Das literarische Duett" :mrgreen:


der war gut Geronimo, weiter so...
aber hat doch was, bei mir liegt das Buch seit
2 Tagen auch wieder in Reichweite. Mal sehen wem
ich eher zustimme...



Ich mußte es in der Schule lesen und es hat mich Jahre meines Lebens gekostet :roll: . Vlt. pack ich es irgendwann noch mal an..müßte noch irgendwo rumliegen....aber gute Erinnerung hab ich nicht daran. :?


Laß Dich nicht abschrecken. Die Blickrichtung ändert sich ja auch entsprechend ... und bei mir sind auch schon gute 25 Jahre drüber gelaufen. Der Unterschied ist: jetzt liest man es freiwillig, und damals war es ein MUSS.


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BeitragVerfasst: 30.09.2008 22:09 
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ich lese zur Zeit "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes"
ein gähnend langweiliges Buch, dumm geschrieben und noch dümmer übersetzt.

als nächstes lese ich dann eine Biografie über Benjamin Franklin und "Picknick mit Bären" - darauf freue ich mich schon.

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BeitragVerfasst: 30.09.2008 22:21 
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Zitat:
Und damit kommen wir dann zum Anfang der Diskussion zurück: wenn das alles so ist/wäre, wieso werden sie dann ausgerechnet von einem britischen Militärschiff gerettet? Warum nicht von einem Handelsschiff? Warum nicht von einer anderen Nation? Warum ein britisches Militärschiff, das Symbol der britischen Kolonialherrschaft?


Ich zitiere den Officer: " I should have thought that a pack of british boys- you're all british, aren't you?- would have been able to put up a better show than that."

Dadurch wird zunächst einmal betont, dass dieser kleine "Krieg" zwischen britischen Kindern vor sich ging. Nicht etwa zwischen zivilisierten britischen Kindern und Zulus, sondern innerhalb der britischen Gemeinschaft. Und es ist ja auch so, dass es nicht von Anfang an zwei Systeme (Ralph und Jack) gibt, sondern zunächst nur das von Ralph. Das bedeutet, dort ist eine Horde britischer Kinder welche eine Art Staat bildet. Von mir aus eine parlamentarische Monarchie. Alle Kinder sind britisch und alle akzeptieren zunächst dieses System. U.a. aufgrund der hier schon vielfach diskutierten und erläuterten Führungsschwäche Ralphs kommt es dann innerhalb dieses Systems zu Widerständen und letztendlich zu Faschismus. Es geht also nicht darum, dass die Kinder weit von der Zivilisation entfernt sind und dann böse werden (denn Ralph, Simon,Piggy,... werden ja auch nicht böse). Es geht darum aufzuzeigen, wie sich innerhalb eines Staates die Demokratie an Zuspruch verliert und sich Faschismus herausbildet. Das hat nichts mit Kolonialismus zu tun. Und gerade die Tatsache, dass der Officer die oben genannten Sätze sagt zeigt doch, wie anmaßend es eigentlich ist zu denken, dass das Britische System gefestigt scheint, dass britische Menschen Demokraten sind. Die Kinder haben doch gezeigt, dass dies gerade nicht so ist. Nicht allein der Zulu ist der Wilde, sondern auch der Brite und dieser wird eben nicht wild, weil jegliche staatliche Kontrolle und Zivilisation nicht vorhanden ist, sondern er wird wild innerhalb eines staatsähnlichen Systems.

Kurzum: Golding sagt, dass wird (die westliche Welt) nicht denken soll, dass unsere Systeme gefestigt sind, dass die Demokratie schon von selbst läuft, sondern das wir sie stützen müssen, u.a. durch Erziehung.


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BeitragVerfasst: 01.10.2008 07:04 
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Mr_Highriser hat geschrieben:
Ich zitiere den Officer: " I should have thought that a pack of british boys- you're all british, aren't you?- would have been able to put up a better show than that."

Dadurch wird zunächst einmal betont, dass dieser kleine "Krieg" zwischen britischen Kindern vor sich ging. Nicht etwa zwischen zivilisierten britischen Kindern und Zulus, sondern innerhalb der britischen Gemeinschaft.


Ein bisschen drehen wir uns im Kreis, oder? Auf die Textstelle war ich schon mal eingegangen. Golding sagt damit im Kern, dass man nicht dadurch ein besserer (oder "guter") Mensch wird, dass man als Brite geboren wird, sondern durch das britische System. Das Chaos auf der Insel entsteht, weil sich Jack und seine Anhänger nicht mehr an das von Ralph propagierte britische System halten wollen. Genauso wie es (aus Sicht der Briten) Chaos bedeutete, als sich die Kolonialreiche lossagten, also das britische System ablehnten.

Zitat:
Und es ist ja auch so, dass es nicht von Anfang an zwei Systeme (Ralph und Jack) gibt, sondern zunächst nur das von Ralph. Das bedeutet, dort ist eine Horde britischer Kinder welche eine Art Staat bildet. Von mir aus eine parlamentarische Monarchie. Alle Kinder sind britisch und alle akzeptieren zunächst dieses System.


Eben, und am Anfang läuft alles super, zivilisiert und organisiert ab, erst als Ralph und damit auch "sein" System infrage gestellt wird, kommt es zur Spaltung und zur Katastrophe.

Zitat:
U.a. aufgrund der hier schon vielfach diskutierten und erläuterten Führungsschwäche Ralphs kommt es dann innerhalb dieses Systems zu Widerständen und letztendlich zu Faschismus. Es geht also nicht darum, dass die Kinder weit von der Zivilisation entfernt sind und dann böse werden (denn Ralph, Simon,Piggy,... werden ja auch nicht böse).


Natürlich nicht, sie versuchen ja auch an Ralphs System (dem britischen also) festzuhalten. Das ist doch grade der Punkt. Außerdem wenn es bei Jacks System nur um Faschismus ginge, warum lässt er sich dann "Häuptling" (also den typischen Titel eines Anführers einer Stammesgesellschaft wie zB die Zulu) nennen und sich nicht den faschistischen Titel "Führer" geben. Grade im Englischen wäre das mit dem dann mehrdeutigen "leader" einfach gewesen.

Zitat:
Und gerade die Tatsache, dass der Officer die oben genannten Sätze sagt zeigt doch, wie anmaßend es eigentlich ist zu denken, dass das Britische System gefestigt scheint, dass britische Menschen Demokraten sind.


Ja, Briten sind keine besseren Menschen, das Golding davon ausgeht, hab ich nie geleugnet. Es geht um den Punkt, dass er der Meinung ist, dass das britische System die Leute zu besseren Menschen macht, während ein Stammessystem (noch mal als Beispiel: wie das der Zulu) "schlechtere" Menschen erzeugt.

Zitat:
Die Kinder haben doch gezeigt, dass dies gerade nicht so ist. Nicht allein der Zulu ist der Wilde, sondern auch der Brite und dieser wird eben nicht wild, weil jegliche staatliche Kontrolle und Zivilisation nicht vorhanden ist, sondern er wird wild innerhalb eines staatsähnlichen Systems.


Aber es ist die Lösung von Ralphs britischen System, das ihn wild werden lässt. Das britische System zivilisiert die Menschen, das unbritische Stammessystem, wie es Jack verfolgt, macht den Menschen zu einem bösen Monster, das absurde Rituale vollführt und grundlos andere Menschen tötet.

Zitat:
Kurzum: Golding sagt, dass wird (die westliche Welt) nicht denken soll, dass unsere Systeme gefestigt sind, dass die Demokratie schon von selbst läuft, sondern das wir sie stützen müssen, u.a. durch Erziehung.


Das ist richtig. Bloß hat er dabei eben ein schrecklich falsches Klischeebild von den nicht britischen (oder meinetwegen auch nicht demokratischen) Stammessystemen, wie sie in vielen der ehemaligen britischen Kolonialreichen vorgeherrscht haben.


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BeitragVerfasst: 01.10.2008 07:18 
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Floyd hat geschrieben:
und "Picknick mit Bären" - darauf freue ich mich schon.

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Das ist amüsant.
Redford hat seit Jahren die Filmrechte in der Schublade liegen und wollte es zusammen mit Newman verfilmen....dazu kommt es ja jetzt leider nicht mehr. :cry:

Hey..da fällt mir ein..dies hier ist die "Filmecke" und kein Nachruf auf einen der größten Filmstars aller Zeiten??!! :shock:


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