Hallo zusammen!
Bin neu hier, und möchte meinen Einstand mit ein paar Gedanken zu "The Essential" geben. Wenn das jemand ähnlich sieht wie ich, dann bin ich hier wohl richtig. Ansonsten könt Ihr mich aber auch gerne in der Luft zerreißen!
/conny
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Aus Sicht einer Plattenfirma sollen solche Kompilationen die Käufer dazu
bringen, weitere CD's zu kaufen - nämlich die einzelnen Alben. Für den
Käufer aber soll so eine Zusammenstellung möglichst viele Alben wenn schon nicht ersetzen, so doch zumindest die Favouriten in kompakterer Form auf eine (in diesem Fall mehrere) CD's zusammenbringen. Der ewige
Intressenkonflikt, wenn es um "Greatest Hits" (wie auch immer sie heißen
mögen) geht. Unmöglich die Mitte zu finden, unnötig sich darüber zu ärgern. Man kann es nun mal nicht jedem Recht machen.
Bei einem Künstler wie Bruce Springsteen wird das Ganze aber zu einer
Glaubensfrage, denn der gute Mann hat mit seiner Musik ganze Leben
verändert, haufenweise tolle Songs geschrieben und Alben rausgebracht, die es bis an Ende aller Tage wert sind, aufmerksam gehört zu werden. So gibt es dann auch gleich auf der ersten Seite des Booklets beschwichtigende Worte vom Boss höchstselbst: "Was dem einen sein Jammertal." Wohl wahr. Doch egal ob nun Springsteen selbst, oder seine Plattenfirma für Auswahl und Sequencing von "The Essential" verantwortlich sind: keine Springsteen-Werkschau ist besser als so eine.
"The Essential" ist streng chronologisch zusammengestellt, die Auswahl der
Songs für eine Chronologie jedoch zu lückenhaft. Das 3-CD Set strotz nur so vor Songs, die dort absolut nicht hingehören. "Jungleland" ist das
gravierenste Beispiel. Ein wunderschöner, romantischer Song, ganz großes
Kino - aber eben auch ein klassicher Album-Rausschmeißer, der seine volle Kraft und Wirkung eben viel besser als Abschluß des Albums "Born To Run" entfaltet - und hier eigentlich nur dem Fluß der CD im Wege steht.
"Backstreets" hätte den Geist von "Born To Run" nicht nur in kompakterer
Form (nochmal) repräsentiert, sondern sogar noch genügend Platz für "Racing In The Streets" gelassen.
Um eines der wichtigen sozialkritischen Themen in Springsteen's Songwriting zu repräsentieren (Kritik an der Todesstrafe bzw. Willkür und
Ungerechtigkeit der Justiz) wurden hier allzu artifizielle Songs wie "Dead
Man Walking" und "American Skin (41 Shots)" herangezogen. Ob nun gut gemeint oder einfach nur schlecht gewählt - "Johnny 99" allein hätte genügt! Ach was, zehn Sekunden von diesem Song sind kraftvoller und aussagekräftiger als die kostbaren zehn Minuten der beiden anderen Songs zusammen!
Für die noch immer suchende, aber deutlich reflektierendere Phase der
Reunion-Tage und der späten 90er-Jahre, gibt es hier nicht etwa "Blood
Brothers" oder "This Hard Land", sondern eine Live-Version der Totgeburt
"Land Of Hope And Dreams". Springsteen's Qualitäten als Live-Performer sind auch heute noch phänomenal, werden aber durch gerade diesen Song nicht einmal ansatzwesie repräsentiert. "Tenth Avenue Freeze Out" oder "Light Of Day" wären, was die Repräsentation einer Live-Performance angeht, die bessere Wahl gewesen. Thematisch hatte bereits das 1995 endlich fertig gestellte "This Hard Land" den Nagel auf den Kopf getroffen.
Es ist kein Geheimnis, dass sich Springsteen seit "Tunnel Of Love" (1987) in den 90er Jahren nur noch wiederholt und ausgeruht hat. "Human Touch" und "Lucky Town" zogen formell wie thematisch nur das "Tunnel Of Love" Pferd von der anderen Seite auf; "The Ghost Of Tom Joad" bot grandioses Storytelling, ohne jedoch "Nebraska" auch nur für eine Sekunde das Wasser reichen zu können. "You know the rest." sang er, und Recht hatte er. Richtig kreativ und kraftvoll ging es erst mit "The Rising" wieder zur Sache. Springsteen hatte wieder was zu sagen und es ging mutig voran. Auf "The Essential" erschließen sich jedoch weder die Progression, noch die Kernaussage von "The Rising". Denn auch vom diesem Album findet man hier statt großartigen thematischen Songs wie "City Of Ruins" oder "Empty Sky" nur das vergleichsweise schwache "Lonesome Day" und den Möchtegern-Gassenhauer "Mary's Place".
Eine anständige Bruce Springsteen-Werkschau war nicht erst seit der 95er
"Greatest Hits" überfällig. Doch der Zeitpunkt für das, was "The Essential" sein soll, ist schlecht gewählt - denn leider ist auch Bruce Springsteen nach dem 11. September nicht mehr der selbe. Die klassischen Songs (Material bis maximal 1995) wären ein (musik-)historisches Dokument für eine Gesellschaft und ein Amerika abgegeben, die es so nicht mehr gibt. Das schien auch die Plattenfirma (oder Springsteen selbst) erkannt zu haben, denn die Stücke die von "The Rising" ausgewählt wurden, hätten inhaltlich ebensogut aus früheren Alben stammen können.
Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, ergeht es auch dem
Schlüssel-Album "Born In The U.S.A." nicht besser. Mit gerade mal drei Songs wird das kontroverseste und zugleich erfolgreichste Album in Springsteen Werk lieblos abgespeist - wozu die drei absoluten Kult-Songs des Albums, zu denen so mancher wahre Sturzbäche an Tränen vergoss ("No Surrender", "Downbound Train" und vor allem "I'm On Fire") ebensowenig gehören wie "My Hometown" oder "Bobby Jean". Springsteen's bestes Album, das Meisterwerk "Nebraska", ist mit "Atlantic City" und dem Titelsong zwar leidlich aber noch immer nicht ausreichend vertreten. Kein "Mansion On The Hill", kein "Johnny 99", kein "State Trooper", kein "Open All Night". "Nebraska" folgt auf "Hungry Heart", "Streets Of Philadelphia" auf "Lucky Town". Songs wie "Tougher
Than The Rest" oder "Secret Garden" finden auf "The Essential" ebenso wenig statt wie "Growin' Up" oder "Cadillac Ranch". Ebenfalls nur mit dem Titelsong vertreten - auf den das vergleichsweise euphorische "The Rising folgt - kommt auch "The Ghost Of Tom Joad" zu kurz. "Highway 29" hätte noch draufgemusst. Oder "Youngstown". Oder "Dry Lightning". Wenigstens einer davon. Es ist einfach zum Heulen.
Wären Songauswahl und Sequencing nicht so mißraten, hätte "The Essential" als Werkschau und Einstieg in die Musik von Bruce Springsteen durchaus seine Daseinsberechtigung. Aber leider wurde statt einer "richtigen" dritten CD (die hier nicht nur Lücken im Hauptwerk, sondern auch das Bild von Bruce Springsteen als Künstler geschlossen hätte, ganz nach dem Vorbild von Dylan's "Biograph") nur eine Bonus-CD mit Outtakes, Demos und Cover-Versionen beigelegt. Das darauf enthaltene Material ist zu gleichen Teilen überflüssig ("Viva Las Vegas") wie brillant ("Lift Me Up"). Essentiell ist jedoch nichts davon, und als Nebenwerk hat dieses Material auf einer Werkschau wie dieser absolut nichts verloren. So bleibt die Bonus-CD nicht etwa ein Bonbon für, sondern vielmehr ein Schlag ins Gesicht der Hardcore-Fans, die bereits in
das teure Box-Set "Tracks" investierten.
Mit "The Essential Bruce Springsteen" hat man weder Künstler und Werk, noch dem (egal ob Langzeit- oder neuen) Fan einen Gefallen getan.