Die Frage kann ich nur aus meiner eigenen Erfahrung heraus beantworten. Das erste Mal habe ich Bruce und die
E Streeters 1988 in München gesehen - es war das beste Konzert meines Lebens. Die Band - von einer Horn-Section brilliant unterstützt - sprühte vor energie und Spielfreude; Bruce war drahtig, muskelbepackt und wirkte - trotz seines Alters - extrem jugendlich, engagiert - und verliebt ... Nie zuvor noch später habe ich eine derartige Performance erlebt (32er Song Set!!!!). Nach dem grandiosen Main-Set (Tunnel Of Love, Boom Boom, Adam Raised A Cain, Downbound Train, All That Heaven Will Allow, The River, Badlands, Cover Me, Brilliant Disguise, Spare Parts, War, Born In The USA, Chimes Of Freedom, Paradise By The "C", Who Do You Love/ She's The One, You Can Look (But You Better Not Touch), I'm A Coward, I'm On Fire, Tougher Than The Rest, Because The Night, Dancing In The Dark, Light Of Day) und einem Hammer-Encore (Born To Run (acoustic), Hungry Heart, Glory Days, Bobby Jean, Cadillac Ranch, 10th Avenue Freeze-Out) gab es über eine halbe Stunde einen Rock'n'Roll Zugabenteil, der alles in den Schatten stellte (Sweet Soul Music, Raise Your Hand, Twist And Shout, Having A Party, Do You Love Me ...). Bruce - immer noch Rock's Hottest Ticket - und seine Band wollten einfach nicht runter von der Bühne. Gut, natürlich war Little Steven nicht mehr von der Partie, aber Nils war dadurch ununterbrochen gefragt und Bruce schüttelte ein Solo nach dem anderen aus seiner Gitarre ...
Der Unterschied beim 1993er Konzert - Bruce als Familienvater mit neuer Tourband unterwegs - waren setmäßig bereits eklatant: Ein toller Solo-Einstieg (Darkness On The Edge Of Town, Adam raised A Cain, This hard Land) Sehr viel Material vom damals aktuellen Doppelalbum (mit teilweise sehr guten, teilweise aber auch deutlich schwächerem Material ...), einige gelungenen Cover Versions (Who'll Stop The Rain, Rocking All Over the World) und einige Bruce-Klassiker machten eins ganz klar: Trotz (zu) demonstrativ gezeigter Spielfreude und Partylaune von Bruce kam der Sound speziell beim älteren Material nicht an den Swing der E Streeters 'ran; bei manchen Songs wirkte dies sogar fast peinlich (Born To Run, Bobby Jean etc.). Und ich kritisiere damit gar nicht so sehr die Gitarren; für mich fehlten der volle Sax-Sound des "Big Man" und die perfekte Rhythm-Sektion von Bass und Drums ...
Das geniale "Tom Joad" Konzert 1996 zeigte mir dann zum ersten Mal die Richtung, die Springsteen bis ins hohe Alter einschlagen kann: ein akustisch begleiteter Geschichtenerzähler mit Stories zum Schmunzeln oder Nachdenken. Er wirkte etwas korpulent, hatte wenig Haare auf dem Kopf, sah seltsam fremd im Anzug aus und stets um Ruhe im Publikum bemüht. Das wichtigste Detail: Bruce hatte seine Stimme verändert; sie war nun endghültig tiefer geworden und die Betonung war im Stil seiner Folk-Vorläufer sehr gedehnt ...
Und dann doch noch eine Wiederauferstehung der "alten" E Streeters aus der Asche: München, der erste Gig der "Reunion Tour" '99, war zwar ein Triumph, aber es hatte sich unüberhörbar musikalischer Rost angesetzt. Die Maschine war zu Beginn der Tour noch nicht richtig in Gang gekommen; speziell die Sax-Soli von Clarence wackelten und es gab Abstimmungsschwierigkeiten. Bruce übertrug seine "neue" Rock-Stimme (sie erinnert oft an die Art, wie Bruce zu "Born To Run"-Zeiten sang ...) auf alte Songs - und erzielte dabei tolle Ergebnisse: "The River", "Backstreets" etc. Bei den späterenwirkte Springsteen selbst deutlich engagierter, die Sets wurden abwechslungsreicher: "Working On the Highway" in Bologna und "Jungleland" in Genua (mit einem perfekten Chor des Publikums während des Refrains) kann man nicht besser spielen.
Und ich denke, dass sich dieser Trend immer weiter verstärkt hat. Je mehr die Band zusammen spielte, umso sicherer wurde sie. Der Publikumszuspruch war enorm, das "aktuelle" Album textlich wie musikalisch sehr gut - und die Tour dazu eine Sensation. Das Konzert in Berlin (sensationelles Publikum) hatte alles, was man sich von dieser sicht- und hörbar gereifteren Rock-Combo wünschen kann: Eine tolle Setlist mit Hits und Rarities - und ein intimes Klavier-Clubkonzert von Bruce solo, das zum Besten gehört, was ich von ihm bisher gehört habe. Wer bei "The Promise" und dem emotional vorgetragenen "Incident On 57th Street" unberührt blieb, dem war nicht zu helfen.
In Ludwigshafen hatten wir das Glück, die Band noch einmal ohne Patti zu sehen - die Asbury Gang war "back"; nichts gegen Mrs- Springsteeni, aber Bruce's Verhalten war sicht- und hörbar mehr "Rock'n'Roll" - die Setlist war toll und es wurden zwei herausragende Songs als Requests gespielt: "Spirit In The Night" und "Racing In The Street". Und auch Gelsenkirchen, München und Hamburg boten brilliante Momente. Es ist sicher nicht mehr dieselbe Energie der 70er und 80er, aber es ist immer noch die beste Rock'n'Roll Band der Welt live on stage - die Frage, ob "besser" oder "schlechter" als früher ist damit eigentlich gar nicht mehr relevant. Hoffen wir, dass sie selbst ihren Stellenwert erkennen, möglichst schnell wieder nach Deutschland kommen und noch so lange zusammen spielen, wie sie Spaß daran haben ...
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